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Wissenschaftler im Clinch

Nicht nur Laien sind verwirrt, wenn Wissenschaftler widersprüchliche Forschungsergebnisse veröffentlichen. Vor allem die klinische Medizin steht vor diesem Problem. Mangelnde Professionalität in den Kliniken ist nach Ansicht der DFG die Ursache

„Professionalität ist derzeit nur in Ausnahmen vorhanden “

von JÖRG ZITTLAU

Vielflieger brauchen keine Angst mehr zu haben. Denn die radioaktive Bestrahlung in den luftigen Höhen steigert nicht das Krebsrisiko. So lautet jedenfalls das Resultat einer Studie, die kürzlich ein Kölner Forscher angestellt hat. Stewardessen, Piloten und auch die Passagiere freut’s, doch die Ernüchterung folgt bereits wenig später. Eine skandinavische Studie legt nämlich ganz andere Resultate vor. Demzufolge sei etwa das Brustkrebsrisiko bei Stewardessen doppelt so hoch wie bei anderen Frauen, und insgesamt bestehe beim Flugpersonal ein bis zu dreifach höheres Risiko von Hautkrebs.

Ähnlich kontroverse Wissenschaftler-Statements befruchten die Diskussion um das Atomkraftwerk Krümmel. Während die eine Seite vom gesundheitlichen Schaden des Brüters überzeugt ist, sieht die andere Seite keinen Grund zur Beunruhigung. Mittlerweile existieren bereits zehn Gutachten, drei weitere sind noch in Arbeit. Ein Ende des Wissenschaftlerstreits ist nicht in Sicht, obwohl bereits mehrere Millionen Mark in die Studien gesteckt wurden.

Auch die Naturheilkunde kann sich der Forscherwut nicht mehr entziehen. Wie etwa das Johanniskraut. Zahlreiche Studien belegen seine Wirksamkeit bei Ängsten und Depressionen sowie seine optimale Verträglichkeit. Doch dann verkünden Wissenschaftler der Berliner Charité, dass der gelbe Sommerblüher Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben kann. Die Konzentration des Herzmedikaments Digoxin im Blut etwa fällt um ein Viertel ab, wenn gleichzeitig Johanniskraut eingenommen wird. Einige Wissenschaftler fordern daraufhin, die uralte Heilpflanze nur noch auf Rezept zu verabreichen. Und das klingt dann gar nicht mehr nach „sanfter“ Medizin.

Bleibt bei alledem die Frage, wie es sein kann, dass die Betreiber medizinischer Studien immer wieder zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Antwort: Wohl kaum eine andere Wissenschaft bietet eine derart breite Plattform für Widersprüche wie die klinische Medizin.

So kann man in der klinischen Forschung unterschiedliche Methoden anwenden, um zu bestimmten Forschungsergebnissen zu kommen. Da gibt es placebokontrollierte (ein Medikament wird mit einem Scheinmedikament verglichen), doppelblinde (weder Ärzte noch Patienten wissen, ob ein Placebo oder das richtige Medikament verwendet wird), dreiarmige (Vergleich zwischen Test-Medikament, Placebo und einem bereits etablierten Medikament) und zahlreiche andere Forschungsmethoden, und sie alle führen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Darüber hinaus neigen die Forscher dazu, ihre Studienergebnisse zu verallgemeinern, obwohl ihre Untersuchung eigentlich nur den Teilbereich eines Problems abdeckt. Ein bekanntes Beispiel dafür kommt aus der Phytotherapie: der Knoblauch. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Knoblauchpulver den Blutfluss verbessert und den Cholesterinspiegel im Blut senkt.

Doch dann kommt eine Studie zu Knoblauchölmazerat auf den Markt, und in der werden keine sonderlichen Effekte auf die Blutgefäße gefunden. Eine Fachzeitschrift betitelt die Studie jedoch mit dem Slogan „Knoblauch – als Heilmittel wirkungslos“. „Ein schwerer methodischer Fehler“, wie Bernd Uehleke, Phytopharmakologe von der Universität Rostock, festhält, „denn die Wirkungslosigkeit wurde ja lediglich für eine spezielle Zubereitung gefunden, nicht aber für den Knoblauch als Ganzes.“

Doch unzulässige Verallgemeinerungen und unterschiedliche Methoden kennt nicht nur die klinische Forschung, das kennen andere Wissenschaften auch. Ein spezifisches Medizinerproblem ist jedoch das der „harten und weichen Endpunkte“. Das heißt: Viele Arzneimittelstudien messen wohl die Wirkung des zu untersuchenden Medikaments auf ein bestimmtes Organ („weiche Endpunkte“) , nicht aber dessen tatsächliche Heilwirkung auf eine Krankheit („harte Endpunkte“). Beispiel: Herzschwäche. Hier existieren zahllose Studien dazu, wie bestimmte Medikamente die Leistung des Herzmuskels verbessern. Aus diesen Ergebnissen wird dann der Schluss gezogen, dass die betreffenden Mittel auch bei Herzschwäche lebensverlängernd wirken.

„Doch dieser Schluss“, warnt Martin Paul, Toxikologe von der FU Berlin, „ist nicht unbedingt zwingend.“ Und in der Tat: Immer wieder entpuppen sich Medikamente, die sich in der einen Studie als herzkräftigend herausstellten, als Versager, wenn es konkret darum geht, ihren Wirkungsnachweis auf den Verlauf von Herzschwäche zu beweisen.

Nichtsdestoweniger liegen Untersuchungen mit „weicher“ Faktenproduktion immer noch voll im Trend. Der Grund: sie sind erheblich zeit- und kostensparender als Erhebungen, bei denen durch umfangreiche Maßnahmen der Krankheitsverlauf von Patienten protokolliert werden muss.

Manchmal kommen Widersprüche zwischen einzelnen Studien aber auch einfach dadurch zustande, dass die Studienleiter von Interessen jenseits der wissenschaftlichen Objektivität geleitet werden. Ein Phänomen, das man vor allem bei der Begutachtung möglicherweise schädlicher Chemikalien oder Strahlen findet. Hier gibt es in Deutschland Wissenschaftler, die immer wieder Unbedenklichkeitsatteste abliefern, obwohl sie damit in Widerspruch zu anerkannten Ergebnissen der internationalen Forschung stehen.

Der Kieler Toxikologe Carsten Alsen-Hinrichs vermutet hinter diesem Verhalten vor allem zwei Motive: Im günstigen Falle sitzen die betreffenden Gutachter in einem von ihnen selbst gezimmerten Elfenbeinturm, sie sind also von ihrer eigenen Forschungsarbeit derart überzeugt, dass sie anders lautende Erkenntnisse einfach übersehen oder sich darüber hinwegsetzen. „Oder aber“, so Alsen-Hinrichs, „sie werden von wirtschaftlichen Interessen geleitet.“ Beispielsweise dergestalt, dass der Studienleiter viel Geld für sein Gutachten bekommt, und dies provoziert dann natürlich Ergebnisse, die überwiegend im Interesse des „Sponsors“ liegen.

In der Toxikologenszene wird in diesem Zusammenhang gerne von „Gefälligkeitsgutachtern“ oder „Hofschreibern“ gesprochen, die sich meisterhaft darauf verstehen, Umweltprobleme schönzureden und sich damit auf Seiten großer Industriebetriebe oder Versicherungsträger zu stellen. Das Interesse der betroffenen Patienten und auch die objektive Wissenschaft kommen dabei natürlich zu kurz.

Von weniger ethischer, dafür aber nicht minder grundsätzlicher Natur ist schließlich der Vorwurf, wonach deutsche Mediziner insgesamt eher schlechte Wissenschaftler und ihre Studien daher in besonderem Maße anfällig für Widersprüche seien. Der neugierige Forscher – an deutschen Kliniken ist er eher Mangelware.

Ein Missstand, der auch von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) angeprangert wird. In ihrer eigens zur klinischen Forschung herausgegebenen Denkschrift (www.dfg.de) heißt es: „Die Durchführung klinischer Studien verlangt ein hohes Maß an Professionalität, das derzeit in den Kliniken nur in Ausnahmen vorhanden ist.“

Die DFG bemängelt vor allem, dass an den Universitätskliniken die ärztliche Versorgung das klinische Forschen völlig an den Rand gedrückt habe. „Dies zeigt sich zum Beispiel daran“, so die DFG, „dass an einigen Universitätskliniken Forschungsflächen nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen oder gar bei der Bauplanung vergessen wurden.“ Die wissenschaftliche Ausbildung der Ärzte dümpelt dementsprechend vor sich hin. Ihre Dissertationen und Habilitationen erreichen nicht annähernd das Niveau, das in anderen Fächern üblich ist. Was nicht wundern darf. Dienen die beiden Titel doch in der Medizin weniger dazu, die wissenschaftliche Laufbahn vorzubereiten, als vielmehr dazu, schneller an den gut dotierten Chefarztposten zu kommen oder das Image der privaten Arztpraxis aufzuwerten.

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