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Schmalhans mit Löwenherz

„Er hat das Skispringen weiterentwickelt“: Der Pole Adam Malysz gewinnt die Vierschanzentournee überlegen, gibt der Konkurrenz Rätsel auf und führt den Sport nebenbei in eine andere Dimension

von MARKUS VÖLKER

Die brutalstmögliche Anerkennung zollte Dieter Thoma. Ein ganz „brutales Brutal“ raunte er nach dem überragenden Sieg von Adam Malysz in die RTL-Kamera. Thoma hatte genau hingeschaut. Kein Aufwind. In den Rücken blies es dem Polen. Und trotzdem: Ein schwereloser Segelflug hinab ins Tal der Bischofshofener Skisprunganlage. 134 Meter weit. Die Konkurrenz landete abgeschlagen. Malysz gewann die Vierschanzentournee. Mit Rekordvorsprung. Erklären konnte das keiner.

Gut. Die Psychologen der Universität Krakau hatten mentalmäßig am Mann aus den Beskiden gewerkelt. Die Elemente ließen sich danach wieder mit Malysz ein. Der Einfluss von Professor Jerzy Zoladz hatte folgendes bewirkt: „Der Psychologe führt den Springer an den wichtigen Moment heran, dass er dann keine Dummheiten denkt.“ Sagte Malysz in Bischofshofen. Dummheiten traut man dem 23-Jährigen ohnehin nicht zu.

Der schüchterne Milchbart muss von seinem Manager Edi Federer regelrecht vor die Mikrofone geschoben werden. „Geh halt hin und sag zwei lustige Sätze. Ist gleich vorbei. Tut gar nicht weh“, gab er seinem Schützling mit auf den Weg.

Man ahnt nur vage, dass hinter der Fassade des hageren Bubis mit dem schütteren Jens-Weißflog-Schnurrer so etwas wie Verwegenheit schlummert; dass die halbe Portion (1,69 m groß) ganzen Leidenschaften nachgeht. Auch Schmalhanse haben ein Löwenherz. Er ist neben seinem gefährlichen Sport ein Autofan. So gesehen ist er ein Mini Cooper mit Porsche-Motor. Schon Toni Innauer musste mit dieser Kennzeichung leben. Malysz fährt nach seinem Erfolg nun einen 100.000 Mark teuren Audi.

Die Konkurrenz war überrascht. Was tun? Malysz zwei Luken tiefer als die anderen starten lassen? Das Material (Elan) bestaunen und anschließend kopieren? Psychoterror anwenden? Hat das Sinn bei einem, der sagt: „Ich möchte mich beim lieben Gott bedanken“?

RTL-Moderator Günther Jauch fragte mit gespielter Naivität, Polen, das sei doch keine Skisprungnation. „Jetzt schon“, entgegnete Thoma. Reinhard Heß interpretierte Malysz’ Weiten als Einmischung von Bedeutungslosen in innere Angelegenheiten der Großen, der G III: Deutschland, Österreich, Norwegen. Die haben vorn zu liegen.

Die Kunde vom Boom des Skispringens geht aber nicht nur von Oberwiesental bis Sylt, auch in Zakopane und Wisla steigt die Popularität des Sports enorm. Sponsoren sind eher bereit, die Springer zu unterstützen, Skifirmen verstärken ihr Engagement. Polen, Tschechien oder Russland werden in Zukunft wohl wieder vorne mitspringen können, weil auch sie Profiteure des Hypes sind, freilich im viel kleineren Rahmen.

Ohnehin ist Polen kein weißer Fleck auf der Landkarte der Weitenjäger. Malysz gewann schon vier Weltcups. In der vergangenen Saison wurde er Vierter in Iron Mountain. Und: 1972 bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo holte sein Landsmann Wojciech Fortuna immerhin die Goldmedaille.

„Ich habe das Gefühl, er hat das Skispringen weiterentwickelt“, sagte Martin Schmitt, Dritter der Gesamtwertung, über Malysz. Trainer Heß versuchte der Ratlosigkeit mit handfesten Argumenten zu begegnen: „Es ist nicht nur der Athlet, sondern auch der Ski, der ihn davon fliegen lässt.“ Das sei so sicher wie das Amen in der Kirche, betete Heß. Andere argwöhnten, der Malysz würde sogar mit einem Ski dominieren.

In der Geschichte des Skisprungs gab es stets ausnehmend gute Springer. Matti Nykänen, Toni Nieminen oder Primos Peterka beherrschten die Schanzen nach Belieben. Die Frage, warum es klappt, wussten auch sie nicht schlüssig zu beantworten. Insofern imponiert das scheinbar einfache Den-Hang-Hinabhüpfen als modernes Mysterienspiel mit leichtgewichtigen Protagonisten.

Geheimnisumwittert, kryptisch wird es meist dann, wenn Bedeutung künstlich aufgebaut werden muss. RTL versteht sich darauf. Adam Malysz noch nicht. Brutalstmögliche Anstrengung wird nötig sein, ihn auch im Schanzenauslauf abheben zu lassen, am besten vor den Objektiven der Kameras. Sein Sponsor wünscht sich das.

Ein gewisser Softdrink-Produzent aus Österreich, der Malysz erst zwei Tage vor Beginn der Tournee günstig verpflichtete, verspricht bekanntlich ungefährdete Luftfahrten nach Trinkgenuss. Dabei kann’s Malysz auch so.

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