: Der Körper der Königin
Im Yogakurs mit Madonna: Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere macht sich die Selbstinszenierungskünstlerin Madonna rar. Als Ikone des Feminismus hat sie ausgedient. Großbritannien hofft in ihr die neue Königin der Herzen gefunden zu haben
von ISABELLE GRAW
Mitglieder von AOL konnten vor Weihnachten zwei Nachrichten anklicken: die neuesten Daten über das „Boris und Babs“-Trennungsdrama oder den aktuellen Stand der Hochzeit von Madonna. Einmal abgesehen davon, dass auf diese Weise sehr anschaulich vorgeführt wurde, wie eng Eheschließung und Scheidung beieinander liegen, schien sich hier die gängige Meinung, dass Madonna exhibitionistisch sei und ununterbrochen als öffentliche Person agiere, zu bestätigen.
Bei genauerer Betrachtung ist die Sache jedoch komplizierter. Allein daran, dass in allen Medien die immer gleichen, spärlichen Informationen, etwa über das Versace-Kleid des Babys, und dieselben offiziellen Fotos dieses Ereignisses zirkulierten, war abzulesen, dass Madonna ihre Hochzeit wie auch ihr Privatleben sorgsam abzuschirmen bemüht ist. Auch ein langes Interview auf Channel 4, das im Rahmen eines Themenabends kurz vor Weihnachten in Großbritannien ausgestrahlt wurde, deutet in diese Richtung, zumal sich Madonna dort Fragen nach ihrem Liebesleben streng verbittet und stattdessen unablässig darum bemüht ist, die Sprache endlich einmal auf ihre Arbeit, ihre Musik, ihr Schreiben von Lyrics zu bringen – allerdings vergeblich. Denn je eindringlicher Madonna die Bedeutung von „Lektüre“ und „Schreiben“ hervorhob, desto hartnäckiger erforschte der ladhafte Moderator Johnnie Vaughan ihr Privatleben, und zwar mit Fragen, die sich ausschließlich auf ihr Alter, ihr Aussehen oder ihre Beziehungen bezogen.
Dass sich die Rezeption erfolgreicher Künstlerinnen sogleich auf das Biografische stürzt, ist nicht ungewöhnlich. Und Madonna selbst hat diese Neugierde zugleich geweckt, befriedigt und thematisiert – man denke nur an den genialen Titel ihres Films „In Bed with Madonna“. Interessant ist jedoch der Zeitpunkt, an dem Madonna wieder verstärkt eine Grenzziehung zwischen „privat“ und „öffentlich“ vornimmt. Sie befindet sich derzeit – so auch der Tenor der Dokumentarsendung – auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, was selbst jene Madonna-Skeptiker konzidieren, die ihr zuvor eine Krise attestierten. Schließlich stieß ihr letztes, extrem erfolgreiches Album „Music“ auch bei denjenigen auf Begeisterung, die ihre vorherigen beiden Platten eher schwach oder esoterisch fanden.
British Pie
Madonna versucht sich also genau zu dem Zeitpunkt dem Zugriff der Medien ein wenig zu entziehen, wo ihr Leben quasi vollständig in den Besitz der medialen Öffentlichkeit übergegangen ist. Aus dieser Sicht betrachtet erscheint ein dreistündiger (!) Themenabend im britischen Fernsehen auch als Beispiel dafür, wie man dort eine Art Besitzanspruch auf Madonna erhebt – nun, da sie in London lebt und mit dem Filmemacher Guy Ritchie verheiratet ist. Ihre elegante Erscheinung lässt vermuten, dass sich in diesem Umzug ein konservativer Schwenk manifestiert. Mit huldvollen Gesten auf offiziellen Fotos und ihrem neuerdings kultivierten britischen Akzent schien sie zu signalisieren, dass sie den Platz der nationalen „Königin“ einzunehmen bereit ist, der durch den Tod von Lady Di freigeworden war.
Ich denke jedoch, dass dieser neue Ladylook in erster Linie aus der aktuellen Mode resultiert, deren Vorschläge – von Versace bis Dolce & Gabana – Madonna immer begeistert aufgriff. Jemand, der wie Madonna ein Leben lang „Selbstinszenierung“ kultivierte und der Privilegierung des Körpers in der Wahrnehmung von Frauen mit der gezielten Gestaltung und regelmäßigen Neuformatierung dieses Körpers begegnete, weiß natürlich auch, dass dadurch das Interesse an ihrem Körper und der Art und Weise, wie sie ihr Leben führt, ins Unermessliche gesteigert wird. Und Madonna wäre nicht Madonna, wenn sie dieses Interesse nicht auch weiterhin mit sorgfältig inszenierten und perfekt choreografierten Auftritten schüren würde.
Wie stark die Bereitschaft, gerade unter kulturschaffenden Frauen, zur Identifikation mit Madonna ist, kann man gegebenenfalls auch an sich selbst beobachten – im Laufe der Sendung konnte ich nicht umhin, jedes Detail ihres Outfits eingehend und wie gebannt zu studieren – die mit Pailletten besetzte Hose oder die Prada-Flip-Flops mit High Heels, zu denen sie Socken trug. Die Kamera schien diesen fetischisierenden Blick vorwegzunehmen – mit langen Einstellungen auf ihre Füße. Aber auch ihren Antworten, speziell auf die eher „existenziell“ ausgerichteten Fragen“, fieberte ich förmlich entgegen.
Denn noch in ihrer Klischeehaftigkeit schienen Aussagen wie die, dass bei Kindern alles eine Frage der Organisation sei, äußerst aufschlussreich zu sein. An solchen Gemeinplätzen verdichtet sich nämlich Ideologie. Gerade beruflich erfolgreiche Mütter greifen gerne zu dieser Formel, die ein gesellschaftliches Problem in eine individuelle Organisationsleistung verkehrt – und dies unter weitgehender Ausblendung der eigenen Privilegien. In demselben Maße, wie Madonnas Äußerungen einem bestimmten Raum gängiger, liberaler Überzeugungen zugehören, hat sie aber auch wirksame Waffen gegen die seit jeher auf sie einprasselnden Unterstellungen entwickelt. So konfrontierte sie der Moderator mit der zum typischen Madonna-Bild gehörenden Vorstellung, dass ihr Outfit doch sicherlich von einem Planungsstab beschlossen und jeder Frisurenwechsel strategisch motiviert sei.
Frisuren des Zufalls
Noch bevor er diese Unterstellung zu Ende führen konnte, hatte Madonna ihn schon unterbrochen, um eine Korrektur anzubringen. Nein, sie würde nicht strategisch planen, sondern einfach morgens aufwachen und beschließen, dass sie Lust auf eine neue Frisur oder eine neue Haarfarbe habe. Es sei doch bekannt, dass man die besten Dinge im Leben nicht planen könne, die würden einem nämlich widerfahren und einen selbst am meisten überraschen. En passant erinnerte sie auf diese Weise an jene intuitiven Momente und radikalen Kontingenzen, die im populären Madonna-Bild der strategischen Powerfrau keinen Platz haben.
Es war schon erstaunlich zu sehen, wie häufig sie dem Moderator ins Wort fiel. Madonnas Verhalten in diesem Interview bezeugte ihren mittlerweile routinierten Umgang mit den Medien. Auf die Zumutungen des zuweilen rüden Moderators, auf die Gewalt, die in seinen Unterstellungen mitschwang, reagierte sie mit scharfen Zurechtweisungen. Man hatte den Eindruck, sie sei fest entschlossen, gegen sämtliche Stereotype anzukämpfen, die immer wieder auf sie projiziert werden.
Doch Stereotype sind bekanntlich zäh. Jedenfalls sorgte ein kleiner Rückblick auf ihre New Yorker Zeit der frühen 80er-Jahre für deren Weiterleben. Eine Reihe von ehemaligen Boyfriends erhielt hier Gelegenheit, sie als jemanden darzustellen, der weiß, was er will, und für die eigene Karriere über Leichen geht. Zweifellos ragte der Madonna-Mythos in diese Erinnerungen hinein. Statt sie immer wieder auf ihre angebliche Skrupellosigkeit und Zielstrebigkeit festzuschreiben, wäre es vielleicht angebrachter gewesen, darauf hinzuweisen, dass sie im New Yorker Clubleben der frühen 80er-Jahre auf kein bestehendes Lobbysystem zurückgreifen konnte und sich die Räume, in denen ihre Musik zirkulieren würde, erst erfinden musste.
Lustigerweise ist es Madonna selbst, die die Anwürfe gegen ihre Person und ihre Musik am besten kennt. Wie auf Kommando konnte sie im Interview sämtliche Vorwürfe herunterbeten – von „kann nicht singen“ bis zu „hat sich hochgeschlafen“. Diese Unterstellungen würden sich erst dann legen, wenn man lange genug am Ball geblieben und sich als jemand erwiesen hätte, der nicht unterzukriegen sei. Wie zahlreiche andere Frauen, die es „geschafft“ haben, scheint auch Madonna ihren Erfolg ausschließlich auf ihre persönliche Leistung zurückzuführen.
Umso erstaunlicher ist es im Nachhinein, dass sie der feministischen Theorie in den 80er-Jahren als Ikone diente. Madonna eignete sich perfekt als Projektionsfläche für das damals gängige Konzept der „symbolischen Politik“. Man war tatsächlich der Meinung, dass sich Madonna permanent „neue Identitäten konstruiere“, wodurch sie sich jeglicher Festlegung entziehe. Heute hat sich die akademische Begeisterung für Madonna vollständig gelegt. Es gibt meines Wissens kaum noch jemanden, der ihren radikal-individualistischen Ansatz, der von Gesellschaftskritik oder Frauenbewegung ziemlich weit entfernt ist, zu einem erweiterten Modell von Politik erklärt. Die Pointe ihrer rasch wechselnden Selbstinszenierungen scheint aus heutiger Sicht vielmehr darin zu liegen, dass sich in ihnen die gesellschaftliche Norm der „permanenten Neuerfindung“ bereits andeutete.
Körper als Werbefläche
Woran liegt es jedoch, dass ihre Inszenierungen nach wie vor faszinieren? Madonna führt eine Situation vor, die alle betrifft: Jede individuelle Gestaltung, so persönlich befreiend sie auch sein mag, erweist sich als Ausdruck eines spezifischen Machtzugriffs. Nichtsdestotrotz hält man an der Suggestion eines „freien Willens“ fest. Wenn Madonna beispielsweise wie kürzlich vom Fitnessstudio zu Yoga überwechselt, dann vollzieht sie mehr als nur eine persönliche Abkehr vom „gestählten“ hin zum ganzheitlich umsorgten Körper. In jeder ihrer neu eingeleiteten Lebensphasen finden sich auch deshalb so viele Frauen wieder, weil sich in ihnen ohnehin stattfindende, paradigmatische Wechsel gleichsam komprimieren.
Genau an dem Punkt, wo sie sich, etwa mit der Option für Yoga oder vegetarische Ernährung, genussvoll selbst entwirft, zeigen sich die neuesten Techniken der Macht beziehungsweise neu angestrebte Körperbilder. „Freiheit“ und „Unterwerfung“ vermengen sich hier in einer „Zone der Ununterscheidbarkeit“. Dazu passt, dass Madonna diese Kolonisierung ihrer Freiräume ebenso häufig verkennt, wie sie sie gelegentlich gut gelaunt beim Namen nennt. In besagter Dokumentarsendung schreckte sie nicht davor zurück, die Funktion ihres Körpers als Werbeträger zu thematisieren und die Namen der Designer, die ihr die Kleidung umsonst zur Verfügung stellten, bekannt zu geben. Auf die Frage, welche Frauen sie am meisten bewundere, nannte sie jedoch Hillary Clinton an erster Stelle. Clinton entspricht ebenfalls dem Prototyp der Powerfrau, die für die Überzeugung steht, dass man es schon schaffen kann, wenn man nur will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen