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Heiliges Bad im Nektartopf

Das indische Pilgerfest Kumbh Mela ist der größte spirituelle Marktplatz der Welt. Bei dem gestern begonnenen rituellen Bad wird dreckiges Flusswasser für Millionen gläubiger Hindus zum spirituell reinigenden Nektar, der ewiges Heil verspricht

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Das Guinnessbuch der Rekorde sagt es kurz und lakonisch: „Die größte Anzahl von Leuten in der Geschichte, die sich je für einen bestimmten Zweck an einem Ort versammelt haben.“ Der Ort heißt Allahabad, und die Zahl der Menschen, die dort in den nächsten 41 Tagen zusammentreffen, dürfte nach offiziellen Schätzungen 50 bis 75 Millionen erreichen. Genau genommen ist es nicht einmal die gesichtslose staubige Stadt knapp 600 Kilometer südostlich von Delhi, wo sich die Pilger drängen werden. Es sind rund zehn Hektar Uferland einige Kilometer östlich, wo der Fluss Jamuna in den Ganges strömt und wo von gestern an bis zum 18. Februar Millionen Pilger in den „Sangam“ steigen werden. Am Haupttag, dem 24. Januar, werden bis zu 30 Millionen Gläubige erwartet.

Das Bad im Sangam zieht die Pilger nach Allahabad. Ein Sangam ist die Mündung eines Flusses in einen zweiten und ist für Hindus ein heiliger Ort. Flüsse werden mit göttlichen Gestalten identifiziert. Ihrem Zusammenströmen wird – wie der sexuellen Vereinigung – eine schöpferische Kraft zugesprochen.

Beim Sangam in Allahabad fließen nicht nur die heiligen Flüsse Ganges und Jamuna zusammen, zu ihnen gesellt sich ein mythischer dritter Strom, der Saraswati. Er vollzieht unterirdisch eine Dreiervereinigung. Wer darin badet, kann an dieser göttlichen Energieentladung teilhaben. Doch was den Sangam von Allahabad auszeichnet und ihn alle zwölf Jahre zum Zentrum des Hindu-Universums macht, ist die Kumbh Mela: der Zeitpunkt, wenn das dreckige Wasser – das offiziell zum Baden ungeeignet ist – die Potenz des göttlichen Nektars erhält und jeden Badenden spirituell reinigt und sein ewiges Heil sicherstellt.

Der Mythos will es, dass bei der Erschaffung des Universums unter den Göttern Streit um den „Kumbh“ – den Topf voll Nektar – ausbrach. Dabei fielen vier Tropfen des schöpferischen Tranks auf die Erde – dort, wo heute die heiligen Hindu-Stätten von Hardwar, Ujain, Nasik und Allahabad sind. Die bedeutendste ist die Mündungsstelle von Jamuna und Saraswati in den Ganges. Alle zwölf Jahre, wenn die Planeten die astrologische Konstellation einnehmen, die sie zum Zeitpunkt des großen Streits hatten, potenziert sich die Heilswirkung des Bades. In diesen ersten Tagen des neuen Jahrtausends ist das Ereignis noch verheißungsvoller. Denn mit dem Eintreten von Jupiter in das Zeichen von Mars und von der Sonne in das des Steinbocks entsteht eine Konstellation, die sich nur alle 144 Jahre wiederholt.

Für Millionen Hindus, die an dieses alte Ritual glauben, ist es eine göttliche Gelegenheit, sich in diesem Zeitraum mit einem Bad in den sakralen Kreislauf einzugliedern. Seit Jahren schon nehmen Herbergen in Allahabad Reservierungen entgegen und erstellen religiöse Organisationen Listen für Plätze in den Zeltstädten, die am Ufer entstehen. Sonderzüge und tausende Busse aus ganz Indien fahren dieser Tage auf die Stadt zu. Dazu kommen 10.000 Polizisten aus dem ganzen Staat Uttar Pradesh. Sie sollen verhindern, dass aus dem „funktionierenden Chaos“ Indiens eine Massenkeilerei wird.

Die einzigen Pilger, die weder Busse noch Zimmer reservieren müssen, sind die mehreren tausend Asketen. Sie verlassen einmal alle sechs oder zwölf Jahre ihre Einsiedeleien überall in Indien und sind Monate zu Fuß unterwegs, um am Fest des (Nektar-)Topfs teilzunehmen. Die Sadhus werden beim Sangam nicht nur baden, sondern an dessen Ufer Millionen Neugierigen auch ihre Wunderkräfte demonstrieren, wenn sie nicht gerade in den Zelten sitzen, ihre Chillum-Pfeifen ansetzen und sich mit tiefen Zügen in Meditationsstimmung bringen. Die nackten Asketen mit ihren Zottelfrisuren gehören zum exotischen Indien-Bild und sind Aushängeschild für zahlreiche Reisebüros und die staatliche Fremdenverkehrsbehörde, um aus der diesjährigen Kumbh Mela eine Touristenattraktion zu machen. Laut Times of India werden sogar Stars wie Madonna, Pierce Brosnan, Sharon Stone, Richard Gere und Demi Moore erwartet.

Indien will aber auch zeigen, dass ascheverschmierte Sadhus auf dem Nagelbrett nur ein Teil des Selbstbilds sind, das es mit der Kumbh Mela verbreiten will. Zu den safranfarbenen Fahnen, den Lautsprechergesängen und den schwimmenden Girlanden im trüben Wasser fügen sich diesmal auch 35 Cybercafés. Pilger, Touristen und Medienleute können dort in speziellen Websites (z.B. www.kumbhallahabad. com) spirituelle Botschaften, Transportinfos, Suchmeldungen für verlorene Angehörige und das Datum für das nächste Feuerritual herunterladen.

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