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Votum für ein geeintes Jerusalem

Etwa 300.000 Menschen demonstrieren gegen palästinensische Souveränität über Teile der Stadt. Anhänger von allen israelischen Parteien sind mit dabei, vor allem jedoch die Opposition. Heute trifft der US-Nahostbeauftragte Ross in Israel ein

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Am Montagabend war Jerusalem Schauplatz einer der größten Demonstrationen, die die Stadt jemals erlebt hat. „Jerusalem – ich schwöre“ war der Tenor der Veranstaltung, wie in großen Leuchtbuchstaben an der Stadtmauer zu lesen war. Sie richtete sich gegen Pläne, den Tempelberg und andere Teile der Altstadt im Rahmen einer Friedensregelung an die Palästinenser zu übergeben. Anhänger von fast allen israelischen Parteien waren gekommen, wobei die politische Rechte und vor allem das national-religiöse Lager deutlich überwog.

Rund 300.000 Demonstranten versammelten sich am Jaffator und planten zunächst, eine Menschenkette rund um die Mauern der Altstadt zu bilden, um so gegen eventuelle Kompromisse in Jerusalem zu protestieren. Die Polizei hinderte die Demonstranten daran, in den Ostteil der Stadt zu kommen.

Die Veranstaltung sollte möglichst unpolitisch bleiben, um den parteiübergreifenden Konsens im Volk hinsichtlich der Unteilbarkeit der Stadt zu betonen. „Ich hoffe, dass Barak die Botschaft verstanden hat“, rief der rechtsgerichtete Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert der Menge zu. Unter den Rednern waren Militärveteranen, ein Rabbiner, Immigranten, ein Sozialarbeiter und eine Schriftstellerin.

Ungeachtet der Intention der Veranstalter, zu denen der rechtsgerichtete Abgeordnete Natan Scharansky gehörte, wurden im Verlauf des Abends lautere Töne gegen den amtierenden Regierungschef Ehud Barak laut. „Barak ist ein Verräter“, hieß es auf den Spruchschildern, und „Dies ist das Getto von Barak“ – Letzteres über einer Illustration des geplanten zukünftigen Grenzverlaufs.

Die Demonstration fiel in den israelischen Wahlkampfauftakt. Am 5. Februar wird ein neuer Regierungschef gewählt. Dabei muss sich Barak gegen seinen rechten Herausforderer Ariel Sharon verteidigen.

Der hat sich jetzt Rückendeckung von der sephardisch-orthodoxen Schass geholt. Schass-Mentor Rabbi Ovadia Jossef erteilte Sharon seinen Segen, nachdem sich die beiden Parteien über eine Reihe von Punkten geeinigt hatten, darunter die gemeinsame Benennung eines Erziehungsministers und die Befreiung der Jeschiwa-Studenten vom Militärdienst. Scharon, der Umfragen zufolge zwischen 18 und 28 Prozent vor Barak liegt, führt bisher einen eher moderaten Wahlkampf, wohingegen die Arbeitspartei in der Vergangenheit des Gegners gräbt. So erinnern Zeitungsinserate mit großen Fotos an das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatilla.

Heute wird der US-Nahostbeauftragte Dennis Ross in Jerusalem erwartet, um Israelis und Palästinensern den jüngsten Vorschlag von US-Präsident Bill Clinton über eine Friedensregelung vorzulegen. Die Palästinenser sind nach wie vor strikt gegen den Plan. Parlamentspräsident Abu Ala setzte wenig Hoffnungen auf den Besuch von Ross, der „sich bisher immer mit der israelischen Seite identifiziert hat“. Die Vorschläge Clintons seien „entfernter als entfernt“ von den Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrates, die nach Ansicht der Palästinenser die alleinige Basis für einen Friedensvertrag sein können.

Palästinenserpräsident Jassir Arafat veröffentlichte in diesen Tagen seine Vorstellungen über eine endgültige Lösung. Dazu gehört die vollständige Auflösung aller jüdischen Siedlungen und die Rückkehr zu den Grenzen von 1967 auch in Jerusalem. Damals stand die gesamte Altstadt unter jordanischer Souveränität. Der Zugang zur Klagemauer soll Juden indes möglich bleiben.

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