: Sieg des Designs
Ortlos ins Unglück: Ami Garmon und Nadia Lauro laden im Theater am Halleschen Ufer zu einer Winterreise ein
So wird man Tourist: Erst muss man die Schuhe gegen weiße Pantoffeln eintauschen. Dann wird man sanft hinter eine Absperrung verwiesen und blickt auf die weiße Bühnenlandschaft, die mit künstlichen Eisbärfellen und Trainingsgeräten möbliert ist. Die Techniker am Mischpult spielen derweil Flughafenatmosphäre ein. Und zum Schluss entdeckt man die Viewmaster, die in Augenhöhe baumeln und mit Stereobildern von der Suche nach dem Erhabenen und dem Absturz in das Banale erzählen. Die Fotos greifen die Ikonografie der romantischen Sehnsucht auf, aber schon der Drei-D-Effekt zerstört jeden Anschein des Authentischen. Je perfekter die Rolle des Abenteurers im Urlaub vorprogrammiert ist, desto größer der Realitätsverlust.
Mit dieser Installation greift die Bühnenbildnerin Nadia Lauro die Disneyfizierung der Landschaft auf, die in Themen- und Abenteuerparks zu einer Kulisse ihrer selbst wird. Lauro, die in Paris mit Landschaftsarchitekten und Möbeldesignern arbeitet, hat auch die Bühne für die Vorführung der Winterkollektion von John Galliano entworfen und eine Ausstellung über Gartenbaukunst mitgestaltet. Ihr Bühnenbild für die Choreografin Ami Garmon profitiert von diesen Erfahrungen und irritiert zugleich. Denn die Kritik an den falschen Versprechungen der Erlebniswelt geht nahtlos in die nächste Stufe des Designs über. Wie im Kinderzimmer wird man mit Stofftieren befriedet. Die Infantilisierung schreitet voran.
Wenn die Theaterbesucher genug Fernweh intus haben, dürfen sie auf den Eisbären Platz nehmen. Ami Garmon, die mit ihrem Projekt „Lack of North“ Orientierungslosigkeit als räumliches und ethisches Problem thematisiert, beginnt die fünfte Station mit dem Schlaf der Vielflieger. Eingekeilt in eine durchsichtige Plastikbox, verliert sie mit der Zeitverschiebung mehr als nur den Tagesrhythmus. Auf allen vieren kriecht sie aus der Box und läuft gelegentlich mit den Beinen die Wand hoch wie jemand, der seinen Schwerpunkt verloren hat. Ihre Vorstellung gibt Rätsel auf. Wie eine Scharade der lebenden Bilder verlangen die Figuren, in die sie sich begibt, nach Entschlüsselung; aber so sehr einem die Einzelteile bekannt vorkommen, nichts passt zusammen. Sie turnt über Stangen an der Wand und hat dabei ein Ballkleid an und eine Terroristenmaske auf. Sie bläht die Backen wie eine Allegorie des Windes, knickt in der Mitte ein, wie von einem Boxhieb getroffen, und sinkt dann nieder. Es steckt ein absurder Humor in diesen Kombinationen, aber auch eine große Anstrengung, choreografischen Floskeln auszuweichen.
Der Abend läuft unter einem Bündel von mehrsprachigen Titeln: „Lack of North, Situation 5: „If you haven’t told everything where does it go“. Step 1: „Safety Copy: Mise en Boite“ (Comfort tout terrain. National Geographic ...). Schon diese Kette von Ableitungen und Zuordnungen spiegelt die Suche nach einer Systematik, die sich im Bemühen um Differenzierung verzettelt.
Zwischen einer Installation und einer Aufführung angesiedelt, gleicht „Situation 5“ einem Brainstorming zum Thema Tourismus und Orientierungsverlust, in dem das Dekor mehr Stichworte liefert als der Körper. Das Design gewinnt das Spiel.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Vom 11. bis 13. 1., um 20 und 21 Uhr im Theater am Halleschen Ufer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen