in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über runde Philosophien

Das Ballett der Arbeiterklasse

Als ich neulich durchs Internet surfte, stieß ich auf die Seite von Philosophy Football, was kein Zirkel philosophierender Fußballanhänger ist, sondern eine T-Shirt-Schmiede im Norden Londons. Seit einigen Jahren werden dort hübsche Hemdchen als Antwort auf durch Werbung entweihte Fußballtrikots angeboten, auf denen hinreißende Zitate von allerlei Berühmtheiten hübsch gestaltet zu lesen sind. Einige davon sind Mogelpackungen, die mit der Doppelbedeutung des Wortes „goal“ spielen, die im Deutschen nicht funktioniert. „Goal“ heißt im Englischen das Fußballtor, aber eben auch Ziel. Weshalb ein Zitat von Friedrich Nietzsche, sein Paradies sei eine direkte Linie zum „goal“, bei uns nicht den gewünschten Bonmot-Effekt erzielt.

Andere Zitate hingegen erfüllen auch hierzulande ihren Zweck und sind eine schöne Erinnerung an das, als was Fußball einmal gesehen wurde. Man muss es dabei nicht unbedingt so eindeutig betrachten wie der Argentinier Che Guevara, der über Fußball sagte: „Es ist nicht nur ein einfaches Spiel. Es ist eine Waffe der Revolution.“ Dieser südamerikanischen Schule der Betrachtung des Spiels gehört bekanntlich auch Ches Landsmann Cesar Luis Menotti an, der aber zwischen reaktionärem Ergebnisfußball und linkem Fußball zur Freude der Massen unterschied. Etwas schlichter sagte es der Liberianer George Weah, der mit seinen üppigen Einkünften in Europa zum Sponsor seiner heimischen Nationalmannschaft wurde: „Fußball gibt einem leidenden Volk Freude.“

Es gab Zeiten, in denen von der dem Fußball innewohnenden Subversion geträumt wurde. Weil das Spielen doch sowieso in die Freiheit führt und sich echte Proletarier den Fußball unter den Nagel gerissen hatten. Dazu gab es Fußballtrainer, die an einen erdigen Sozialismus glaubten, der vor allem von Gerechtigkeit sprach – wie Bill Shankly. „Im Sozialismus, an den ich glaube, arbeitet jeder für den anderen und alle bekommen einen Teil des Gewinns. So sehe ich Fußball, so sehe ich das Leben“, sagte der Mann aus Liverpool, dessen Zitat vom Fußball, der wichtiger als Leben und Tod sei, noch viel bekannter ist. Dazu passt auch eine halbsoldatische Solidaritätsforderung wie die von Leeds-Treter Billy Bremner: „Side before self every time.“ Die Mannschaft ist immer wichtiger als der einzelne Spieler. All dies in dem Zeitalter, als der englische TV-Charakter Alf Barnett noch sagen konnte: „Fußball ist das Ballett der Arbeiterklasse.“ Weil man es auch umdrehen kann, hat Philosophy Football einige T-Shirt-Vorderseiten zur Verfügung gestellt, in denen es um Fußball und Kultur geht. Etwa ist die erste Seite der Partitur von Dmitri Schostakowitschs Ballett „Fußball“ aus dem Jahr 1944 aufgedruckt. Oder die Behauptung der Feministin Germaine Greer: „Fußball ist eine Kunstform.“ Wozu dem Reggaemusiker Bob Marley etwas Romantisch-Verträumtes einfiel: „Wenn ich Fußball spiele, erwacht die Welt um mich herum.“ Die stets neunmalklugen Vertreter der holländischen Fußballschule, wie Johan Cruijff, meinen strenger: „Fußball ist ein Spiel, das man mit seinem Verstand spielt.“ Und Dennis Bergkamp assistiert: „Hinter jedem Tritt gegen den Ball muss ein Gedanke stecken.“ Schön wär’s. Doch das ist noch nicht genug. Danny Blanchflower, der legendäre nordirische Nationalspieler und spätere Journalist, bringt fast alles unter einen Hut: „The game is about GLORY doing things in STYLE.“ Um Ruhm geht es also, und den erreicht man nur, in dem man die Dinge mit Stil tut. Mit Klasse, mit Würde und Respekt. Doch passt das heute noch, wo solche Nobilität von einer untergegangenen Zeit zu künden scheint?

Nicht einmal Jean Baudrillard hat doch noch Recht. „Die Macht ist nur zu froh darüber, dem Fußball eine diabolische Verantwortung für die Verdummung der Massen zu geben“, sagt er. Wo doch das Gefühl übermächtig ist, dass diese nebulöse Macht längst selbst im Stadion ist. Bleibt also nur, mein Lieblingsshirt überzuziehen, das sich einer dadaistischen Forderung bedient: „Jeder sein eigener Fußball.“

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt den Fußball und schreibt darüber