: Die Busen der Macht
Im Rathaus wimmelt es von Frauen: nackt und halbnackt schmückten sie Wände und Decken, bevor sie etwas zu sagen hatten ■ Von Sandra Wilsdorf
Wer durch das Rathaus geht und dabei den Kopf in den Nacken legt, sieht überall Bilder und Skulpturen von Frauen. Barbusige Matronen, ganz nackte Göttinnen, mal mehr, mal weniger gekurvt, wie es gerade männlicher Geschmack war. Denn auch wenn 1897, als das Rathaus erbaut wurde, die Frauen in der Politik nichts zu sagen hatten, durften sie zumindest als Augenweide dienen: „Von machtvollen Frauen und weiblichen Körpern“ erzählen Rita Bake und Birgit Kiupel auf ihrem Rundgang durch das Rathaus. Für die Landeszentrale für politische Bildung haben sie ihn ausgearbeitet und eine Broschüre herausgebracht.
Ihre Führung beginnt vor dem Rathaus: Wer es durch den Haupteingang betritt, muss nämlich unter der Stadtgöttin Hammonia hindurch, die in Zobel gehüllt Steuerrad und Lorbeerkranz in Händen hält. Darüber prangen vier Statuen, die die Hamburger Bürgertugenden Tapferkeit, Frömmigkeit, Klugheit und Eintracht verkörpern. Auch sie sind weiblich.
„Sie stellen keine Individuen dar, sondern Ideen“, erklärt Rita Bake. Allerdings alle mit der gleichen Körbchengröße. Rita Bake schätzt 75C. „Weibliche Körper eignen sich besonders gut, abstrakten Begriffen eine menschliche Gestalt zu geben und damit bildlich darstellbar zu machen.“ Denn der weibliche Körper gelte als unbefleckt von den ökonomischen und staatlichen Konkurrenzen der Männer.
In der Ecke des Innenhofes führt eine Brautpforte wieder in das Rathaus hinein. Links oben ist das Gesicht der angeblich zänkischen Xanthippe, rechts jenes vom mörderischen Blaubart eingemeißelt. Ganz oben turteln Tauben aus Stein, darunter halten moderne Drähte die echten Tiere fern. Weil die Brautpforte nur in einen Flur und dann in den Senatstrakt führt, ist sie wohl nicht für wirkliche Brautleute gedacht, sondern für die SPD, die ihre kleinen Koalitionspartnerinnen am Arm über die Schwelle führt.
Auf den Spuren eines politischen Brautpaares lässt sich weiter wandeln. In der Ratsstube, wo heute König Ortwin und seine Königin Krista Seite an Seite thronen, sitzen ihnen die Frauen im Nacken: „Gestiftet von Hamburgs Frauen“ steht auf dem Wandbehang, den Frauen 1897 zur Einweihung des Rathauses gestiftet haben, und mit dem sie sich in die Regierungszentrale eingeschlichen haben, lange bevor sie dort Zutritt hatten.
Auch wenn die Frauen die Wände bevölkern, auf dem Teppich regieren doch die Männer. „Tschuldigung, das ist hier eine Führung“, sagt einer der Rathauskönige, in diesem Moment Regent einer Touristengruppe. „Das hier ist auch eine Führung“, sagt Rita Bake. „Aber das hier“, stellt er klar, „ist die Richtige.“
Wer sich die Frauen des Rathauses ansehen will, muss sich an die Landeszentrale für politische Bildung wenden: Tel. 42831-2050.
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