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Subsonische Ganzkörpermassage

„Detroit Bass“ trägt das Gütesiegel des roughsten Partysounds auf amerikanischen Dancefloors. DJ Assault, der Superstar unter den Straßenjungs und größter Schweinigel, ist das momentan beste Mittel gegen Sophistication

Die momentan angesagtesten Partys in Detroit sehen ungefähr so aus wie der Drehort eines Foto-Shootings für das Jungmänner-Magazin Chicks & Cars oder die studentischen Springbreak-Feierlichkeiten in Daytona Beach. Simpelste Schlüsselreize garantieren das effektive Abfahren: Da sind erstens, zweitens und drittens halbnackte Mädchen in voller Bewegung, viertens monströse Straßenkreuzer mit Kampfstern-Galactica-ähnlichem Aufsatz, der sich bei genauerem Hinsehen als Soundsystem entpuppt, und fünftens – nicht zuletzt – dieser Überdruck auf dem Innenohr, der sich partout nicht abschütteln lässt. Bass!

Von rechts nach links und ab durch die Mitte. Breakbeats, Chicago-House, Techno, R’n’B, Electro – bis zum Anschlag hochgepitcht, mindestens aber bei saftigen 160 bpm. Eine subsonische Ganzkörpermassage aus feuchtfröhlichen Bums-Beats. Musik, die ihren Test-Drive in den lokalen Stripbars erlebt. Die ganze Klischeekiste rauf und runter. Diese Bilder bleiben haften.

Seit knapp fünf Jahren trägt der Bass aus Detroit – ob als Ghetto Tech, Ghetto Bass oder Booty Music – das Gütesiegel des roughsten Party-Sounds auf amerikanischen Dancefloors. In Detroit ist die Popularität von „Bass“, wie die Homies ihren Stil nennen, inzwischen so groß, dass die mobilen Soundsysteme mit ihrem charakteristischen Wummern das Straßenbild prägen. Im Laufe weniger Jahre hat sich hier eine sehr spezifische Subkultur aus den Ghettos herausgeschält und speziell in Detroit ein nicht zu unterschätzendes Marktsegment entstehen lassen, das nach seinen ganz eigenen Mechanismen funktioniert.

In der Frühphase des „Detroit Bass“, ungefähr Mitte der 90er, konnten findige Produzenten allein durch den „Kofferraum-Verkauf“ innerhalb kürzester Zeit zehntausende von Maxis absetzen. Es war auch ein Akt der Selbstermächtigung. Ghetto Tech ist die erste große Welle von schwarzer elektronischer Ghetto-Musik seit dem Techno-Boom Anfang der 90er mit Underground Resistance, Derrick May und Jeff Mills.

Für viele Techno-Produzenten der ersten Stunde war der Weg, den ihre Musik schließlich einschlug, konsternierend: Techno landete in den Vorstädten, wo schließlich auch das große Geld verdient wurde. Ghetto Tech trägt das Bewusstsein für seine Roots heute stolz im Namen, und keiner der Star-Produzenten – von DJ Assault über Adé Mainor (Assault Partner Dr. De) bis DJ Di’jital – würde je vergessen zu betonen, wie „unten“ er mit der Straße ist. Wie sehr der Code der Straße die Ikonographie der „Booty Music“ bestimmt, zeigt sich in der Hip-Hop-typischen, aber weitaus selbstironischeren Inszenierung der Statussymbole: dicke Jeeps, große Boxen und große Mädels.

Craig Adams aka DJ Assault ist der Superstar unter den Straßenjungs – und der größte Schweinigel dazu. Seine Tracks tragen Titel wie „Ass ’n’ Titties“, „Drop dem Panties“ oder „Dick by the Pound“ – auch mal angereichert mit einem lasziven Porno-Sample – und sind gekonnt stumpf bis zur Gehirnerweichung. Als DJ schiebt er innerhalb von 70 Minuten bis zu 90 Platten durch den Durchlauferhitzer, was ausreichend Reibefläche ergibt. Sein Album „Straight up Detroit Sh*t“ ist so ein Höllenritt. An Tempo mangelt das nicht, genauso wenig wie an geschmacklicher Räudigkeit. Hat sich in Detroit nämlich entlang der oben beschriebenen musikalischen Koordinaten und einem gesunden Bewusstsein von Miami-Bass-Hip-Hop eine eigenständige Identität herausgebildet, ist Assault der Mann, der diese Kategorien wieder zum Kollabieren bringt.

An seinem Eklektizismus brechen sich Curtis Mayfield, Kraftwerk, Richie Hawtin und die 2 Life Crew, und das nicht selten im 50-Sekunden-Takt. Sein infantiler Wahnwitz trägt zwangspubertäre Züge, ist aber das momentan beste Mittel gegen fortschreitende Sophistication.

ANDREAS BUSCHE

DJ Assault (die Detroit Grand Pu Bahs haben abgesagt): Heute abend ab 23 Uhr im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8-11, Friedrichshain

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