: In barbarischer Fremde
Ob überhöhte Wertschätzung der antiken Vergangenheit, einseitige Kritik am Islamoder Verkennung der Realität – Nordafrikareisende taten sich und tun sich schwer
Familie Rot hat für diesen Sommer zwei Wochen Urlaub in Tunesien gebucht. Den routinierten Italienreisenden fällt der Sprung übers Mittelmeer nicht leicht. „Man liest ja immer so viel über Entführungen und so . . .“, meint Frau Rot. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie wahrscheinlich dunkelhaarige, finster dreinblickende Gestalten, die eine unschuldige Frau in einen ramponierten Citroën zerren. Verwechselt sie Tunesien etwa mit Algerien? „Na ja“, gibt sie zu, „das ist doch alles das Gleiche. Islamisten und so.“ Die sind in Tunesien zwar unterdrückt oder im Gefängnis und im nabelfreien Urlaubsort Hammamet ohnehin nicht anzutreffen, und von der tatsächlichen Repression in Tunesien haben Rots weder gehört noch gelesen, denn nach außen transportiert das Land ein fast unwidersprochenes Sonnenscheinimage. Ihre Angst sitzt tiefer: In der Fremde ist der Fremde eben fremd.
Sie betreten quasi Feindesland und fühlen sich als „Kulturmensch in barbarischer Fremde“. So lautet auch der Titel einer Habilitationsschrift. Der deutsch-tunesische Germanist Mounir Fendri hat deutsche Tunesienreisende des 19. Jahrhunderts anhand ihrer Schriften und Tagebücher zu ihrem Tunesienbild befragt. Sein Vorteil: Er hat beide Gesellschaften ausgiebigst studiert, kennt ihre historischen, ökonomischen und politischen Grundlagen. Der deutsche Tunesienreisende des 19. Jahrhunderts erscheint „alles in allem doch als selbstbewusster Kulturmensch inmitten einer (gemäß den eigenen Normen und Kriterien) „nichtzivilisierten“, folglich „barbarischen“ Fremde“, weiß Fendri.
So schreibt die Globus-Redaktion, Jahrgang 1865 zur Einleitung eines zusammengefassten Tunesien-Reiseberichts: „Überhaupt hat Tunesien viele ungemein fruchtbare Gegenden, aber es ist schlecht bebaut, die Bewohner sind träge, und alle Bemühungen des Beys, die Leute zu einer ausgiebigen Benutzung zu veranlassen, scheitern an der Gleichgültigkeit.“ Wie tief das Vorurteil der Faulheit verwurzelt war, zeigt der Tunis-Reisebericht der Marie von Schwartz. Bei ihrem ersten Basarbesuch wurde sie von dem regen Geschäftstreiben völlig aus der Fassung gebracht, denn „dieses phlegmatische Volk in solcher Hast zu sehen kam mir sehr merkwürdig vor“.
Fendris Habilitation trägt viel Material und Zitate zusammen. Es ist ein umfassendes Werk zu den deutsch-tunesischen Beziehungen: Von tunesischen Annäherungsversuchen und deutsch-preußischer Distanziertheit bis hin zur tunesischen Etappe als Schwerpunkt der Mittelmeerwanderungen umfasst es die unterschiedlichsten Schnittpunkte politischer und touristischer Art. Eine riesige Fundgrube, die sich dem geneigten Leser allerdings nur schwer erschließt. Es ist und bleibt eine Habilitationsschrift, kaum geeignet als leichte Reiselektüre für die Rots. Auch wenn sich ihre neuen, alten Ängste darin wiederfinden. EDITH KRESTA
Mounir Fendri: „Kulturmensch in barbarischer Fremde. Deutsche Reisende im Tunesien des 19. Jahrhunderts“. Iudicium Verlag, 1996, 461 S., 90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen