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Die Masse der Aufklärung

Seit 40 Jahren produziert Klaus Staeck Postkarten, Editionen und Plakate für den öffentlichen Raum. In dem Band „Ohne Auftrag“ blickt er auf ein Leben voller Tapeziertische und Gerichtstermine zurück

Plakatkünstler sind auch Aktionskünstler, die Kunst öffentlich inszenieren

von RUDOLF WALTHER

Von den bislang 41 Klagen gegen Werke Klaus Staecks war keine einzige erfolgreich. Weder die Rüstungsmanager, die sich von Staecks Plakat mit dem Slogan „Alle reden vom Frieden. Wir nicht“, beleidigt fühlten, kamen mit ihren Klagen durch, noch die Verantwortlichen der Müllentsorgung unter dem Label „Der Grüne Punkt“ („Der größte Schwindel seit der Farbe Grün“). Zu seiner Verteidigung versteckte sich Staeck, der mit Ironie, Satire, schwarzem Humor und Verfremdung den Verhältnissen in der „Gemarkung Absurdistan“ auf den Leib rückt, nicht hinter dem verfassungsrechtlich garantierten Kunstvorbehalt (Art. 5: „Die Kunst ist frei“). Sondern er berief sich immer auf die Meinungsfreiheit – also auf ein Grundrecht für alle.

Ausgerechnet ein Unikat in Gesellschaft, Kunst und Politik wie Staeck beschäftigte sich früh „mit Objekten, die alle auf Multiplizierbarkeit angelegt sind“. Die ästhetische Entscheidung für Drucke, Plakate, Postkarten, Aufkleber steht dabei auf einem soliden politischen Fundament. Als gestandener Sozialdemokrat, der in seiner 40-jährigen Mitgliedschaft viel zu leiden hatte unter seiner Partei, versteht Staeck seine Arbeiten als „Werkzeuge der Demokratie“ und der Aufklärung. Diese ästhetisch-politische Doppelfunktion können die Arbeiten jedoch nur erfüllen, wenn sie eine große Öffentlichkeit erreichen. Voraussetzung dafür sind Preise, die ein breites Publikum zu bezahlen bereit und in der Lage ist. Vervielfältigung bedeutet eben auch leichteren Zugang für viele und insofern „ein Stück multiplizierter Freiheit“.

Staecks Buch „Ohne Auftrag“ ist keine Autobiografie, sondern eher ein Rechenschaftsbericht über seine Reisen „unterwegs in Sachen Kunst und Politik“, wie der Untertitel heißt. Das Biografische im engeren Sinne spielt in Staecks Buch nur so weit eine Rolle, wie es für sein Kunst- und Politikverständnis von Belang ist. Privates bleibt privat. 1938 geboren, wuchs er in der DDR auf und lernte die kommunistische Repression als Schüler so früh kennen, dass er zeitlebens geimpft war gegen Versuchungen, den Menschen von oben zu verordnen, was sie angeblich wünschen. Als 18-jähriger Abiturient verließ er 1956 die DDR und studierte Jura in Heidelberg. Nach dreieinhalbjähriger Referendarzeit erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt.

Schon während des Studiums besuchte er Zeichenkurse und bildete sich autodidaktisch weiter. Prägend wurden für ihn die Collage- und Montagetechniken John Heartfields. Ende der 60er-Jahre entdeckte Staeck das Plakat als eine seinem Kunst- und Politikverständnis adäquate Form. Plakate brauchen Öffentlichkeit, und insofern sind Plakatkünstler immer auch Aktionskünstler, die ihre Kunst öffentlich inszenieren. Staeck hat darin einen eigenen Stil entwickelt. Seit seinen ersten Plakaten gegen die rechtsradikale „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) finanziert er seine Aktionen selbst und versucht, die Kosten wieder einzuspielen, indem er die Plakate und verkleinerte Versionen in Form von Postkarten verkauft. Für diese Art von Kunst existierten keine Vertriebskanäle. Staeck hat sich diese im Laufe der Jahre selbst geschaffen, von seinem legendären Laden in der Heidelberger Altstadt aus und in enger Zusammenarbeit mit dem Göttinger Drucker Gerhard Steidl. Zum Vertriebssystem gehören auch die „Edition Staeck“ mit rund 500 Drucken von 80 namhaften Künstlern aus aller Welt sowie der Staeck-Brief und neuerdings das Internet.

Ein wichtiger Bestandteil seiner unorthodoxen Vertriebsformen ist der Tapeziertisch, mit dem Staeck bei großen politischen und künstlerischen Ereignissen aufkreuzt. Angst vor Reisen in die Provinz darf man dabei so wenig haben wie hochnäsigen Dünkel beim Zusammenprall mit der „Volksmeinung“. In über dreißig Jahren hat Staeck rund 3.000 (!) Einzelausstellungen bestritten – in renommierten Museen im In- und Ausland ebenso wie in Jugendhäusern weitab der Großstädte, in Fabrikhallen und Gemeindezentren. Rund 100 geplante Ausstellungen wurden durch politischen Druck verhindert bzw. mit bürokratischen Vorwänden abgewürgt. Neben den Ausstellungen organisierte Staeck immer wieder – allein oder zusammen mit anderen – politische Interventionen im Rahmen der „Aktion für mehr Demokratie“ oder der „Ideentreffs“, einem lockeren Zusammenschluss von nonkonformistischen Künstlern, Schriftstellern, Politikern und Journalisten.

Die „persönliche Bilanz nachweisbarer Erfolge“ beurteilt Staeck zwar als „recht mager“. Aber seinem politischen Selbstverständnis nach war der linke Künstler nie ein revolutionärer Fantast, sondern immer ein hartnäckiger Kärrner. Ihn stürzte die Unabschließbarkeit des Projekts der Moderne, Gerechtigkeit durch Aufklärung zu verwirklichen, weder in Resignation und Enttäuschung noch in Anpassung und Zynismus. Wie Günter Grass begreift er sich als „Steinwälzer“: „Unser einziger Heiliger, den wir beide haben, heißt Sisyphus – sonst glauben wir an nichts.“ Der prächtige Band mit zahlreichen Abbildungen ist eine illustrierte Skandal- und Sittengeschichte der bundesrepublikanischen Zustände und ein schöner Beitrag zum Thema demokratisches Engagement. Die erstaunlichste Entdeckung ist, wie aktuell die Produkte von Staecks Sisyphusarbeit geblieben sind, obwohl sie aus tagespolitischen Anlässen entstanden: „Der Aktionär ist das größte Säugetier“ hieß es bei ihm – 1978.

Klaus Staeck: „Ohne Auftrag“. Steidl Verlag, 290 S., Göttingen 2000, 290 Seiten, 49,80 DM

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