: Wenn die Realität in die Fiktion einbricht
Schauspieler als Theaterensemble: „Die Lügen der Papageien“ am Deutschen Schauspielhaus ■ Von Karin Liebe
Splatter am Theater ist nichts Neues. In Blut und Sperma suhlt sich jede Provinzbühne. Doch auf der Probebühne des Schauspielhauses gibt es realen Horror: echtes Blut, echtes Entsetzen. Ein Schauspieler verletzt sich die Hand und hinterlässt eine dunkelrote Lache auf dem Holzboden. Eine Zuschauerin springt wie von der Tarantel gestochen auf und rettet ihre Handtasche vorm Verbrennungstod. Schuld sind im Boden eingebaute Lämpchen, die das gute Stück schon angekokelt haben.
Was für eine Aufregung. Dabei geht es in Die Lügen der Papageien gar nicht um Gefahren von Leib und Materie. Es handelt von Verletzungen der Seele, von Heucheleien und Gemeinheiten, den ganz normalen Schmier- und Reibstoffen im zwischenmenschlichen Alltag. Nur dass Autor Andreas Marber das Ganze im spezifischen Milieu des Theaterbetriebs angesiedelt hat. Simuliert wird auf der Probebühne des Schauspielhauses eine Probe – vor gerade mal 40 Zuschauern, die an einer Längsseite des rumpeligen Raumes in zwei Reihen Platz finden.
Zwischen röhrender Kaffemaschine und dicht behängten Kleiderstangen heucheln und hetzen der Schauspieler (Thomas Kügel), die Regisseurin (Sabine Orléans) und der Autor (Jörg Ratjen) um die Wette. Am gemeinsten ist der Autor: Er hat eigens für den Schauspieler, an dem er sich rächen will, ein Stück mit dem Titel „Ich bin ein Stück Scheiße“ geschrieben.
Der Autor selbst leitet die Proben. Nein, nicht der Autor im Stück, der kommt nur zur Probe, um sich am Anblick des gedemütigten Schauspielers zu weiden. Hier ist die Rede vom realen Autor, von Andreas Marber, der die Proben der Hamburger Inszenierung leitete. Etwas verwirrend, aber das Stück selbst ist recht einfach gestrickt und auf Anhieb verständlich. Die Backstage-Farce findet in Echtzeit mit sehr naturalistischen Dialogen statt. Was auch in Hamburg, ohne „echten“ Regisseur, gut funktioniert: Der Zuschauer, unfähig zum Eingreifen, leidet. Und das soll er wohl auch. Mit einer Mischung aus Ekel und Amüsement verfolgt er den verbalen Schlagabtausch, wünscht den fiesen Autor zur Hölle, dem geknickten Schauspieler mehr Widerstandskraft und der netten Regisseurin mehr Rückgrat.
Jörg Ratjen zieht hemmungslos alle Register. Er fläzt im Rokokokostüm breitbeinig auf dem Stuhl und erzählt, trotz der müden Protes-te der Regisseurin, immer wieder dieselbe Story: Wie es bei Jürgen Flimms Abschiedsinszenierung am Thalia Theater rote Rosen für den scheidenden Intendanten regnete, die er angeblich selbst bestellt hatte. Und wie Katharina Thalbach den Text des Abschiedsständchens nicht konnte. Genüsslich zieht Ratjen, bis zur letzten Spielzeit selbst am Thalia engagiert, über seine alte Heimat her. Natürlich ist das alles nur gespielt, oder?
Genau diese Verquickung von Realität und Fiktion macht Die Lügen der Papageien so amüsant. Manch einer mag die Gehässigkeiten auch geschmacklos finden, aber glänzend gespielt ist es allemal. Sabine Orléans, mit barock ausladendem Dekolleté und umgedrehter Baseballkappe zwar etwas gewollt brüchig kostümiert, konterkariert die hektische und fürsorglich Kaffee kochende und Sektchen holende Ei-ei-Unterstützerin immer wieder mit kurzen, gehässigen Lachanfällen. Jörg Ratjen hat keine Scheu vor Manieriertheit, er kreischt sich heiser, ein Rokokoärmel hängt ihm stets weit übers Handgelenk. Und Thomas Kügel gewinnt seiner undankbaren Rolle als Loser sehr zurückgenommene Momente ab. Er starrt, schweigt, hadert und weint. Bis er in einem Wutanfall das Geschirr vom Tisch fegt – und sich dabei die besagte stark blutende Schnittwunde zufügt. Sabine Orléans bleibt spontan ganz in ihrer Rolle: Sie holt ein Taschentuch.
Auf dem Nachhauseweg geht der Splatterfilm dann weiter. Blutflecken auf den Fliesen des S-Bahnhofs, statt der fürsorglichen Regisseurin ein Aufgebot an Polizisten. Ein Fahrgast wurde angeschossen. Warum? Aus Rache? Das Leben, eine Bühne.
weitere Vorstellungen 19., 20., 22., 30. + 31. Januar, jeweils 20 Uhr, Treffpunkt: Kantine, Schauspielhaus
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