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Im Erlebniskontinent

Wir sind doch nicht blöd! Robert Woelfl zeigt Menschen im Supermarkt. Sein Stück „Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe“ läuft in Leipzig

„Wir kümmern uns um jeden.Nur wer wirklich geliebt wird, kauft.“

von CHRISTIANE KÜHL

Bei Lichte mag das anders aussehen. Aber wenn man in der Dämmerung von Berlin nach Leipzig aufbricht, hat man spätestens nach anderthalb Stunden das Gefühl, durch Niemandsland zu fahren. Sehr dunkel und sehr einsam ist es rechts und links der Autobahn, nur selten sieht man Lichterketten in der Ferne. Aber gerade wenn man sich entschieden wundert, wer in solch menschenleerer Gegend so verdammt viele Baustellen bauen kann, springt einem aus dem Nichts ein Las-Vegas-artig leuchtender Komplex ins Auge: ProMarkt! PEP! Baron! Hammer! Bavaria Hotel! Kaufmarkt! Multikauf!, strahlen die Neoschriften. Dann ist es wieder stockdunkel. „Leipzig“, erläutert ein Schild wenige Kilometer weiter: „Den Wandel zeigen“.

Die Gottschedstraße im Zentrum Leipzigs ist ein gutes Beispiel für den Wandel. Hier reihen sich heute berstend gefüllte Bars, Cafés und Spezialitätenrestaurants dicht an dicht. Auch das Schauspiel Leipzig liegt an der Gottschedstraße, samt seiner kleinen Spielstätte Neue Szene, wo man den Zeitenwandel besonders hautnah beobachten will. „Disco Pigs“, „Pussy Talk“ und „Top Dogs“, Urs Widmers Drama über gescheiterte Topmanager in einer beeindruckenden Inszenierung von Michael Thalheimer, stehen hier auf dem Spielplan. Und seit Freitag steht da ein Zeitstück mehr: Claudia Bauer inszenierte die Uraufführung von „Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe“ des Österreichers Robert Woelfl.

Im Mittelpunkt steht die Kathedrale des 20. Jahrhunderts: das Einkaufszentrum. Wobei Einkaufszentrum ein Wort ist, das Gerhard Sollmann nie über die Lippen kommen würde. 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche – „alles abgedeckt vom Dreck bis zur Delikatesse“ – aus hundert Hektar Brachland gestampft, bilden selbstredend einen Erlebniskontinent. Einen humanistischen Erlebniskontinent, denn Sollmann weiß, was Menschen wünschen: „Verführung ist vorbei. Wir setzen auf die Wohlfühlfunktion. Wir kümmern uns um jeden. Wir füllen ihnen das Herz. Nur wer wirklich geliebt wird, kauft.“ So weit, so gut – wenn auch nicht besonders originell, weder für einen Unternehmer noch für ein Theaterstück im 21. Jahrhundert.

Woelfl, der Bildhauerei in Salzburg sowie freie Grafik und Medientheorie an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien studierte und als Video- und Internetkünstler international erfolgreich ist, schreibt seit 1990 auch Drehbücher, Hörspiele und Theaterstücke. „Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe“ ist voller Klischees: der Unternehmer, der seine Raffsucht in Unternehmensphilosophie kleidet; seine stets beschenkte Ehefrau, die sich zum Objekt degradiert fühlt und ein Verhältnis mit dem Investor beginnt; der Investor, der nichts außer beim Wort „Investitionsruine“ fühlt; die studentische Hure, bei der der Unternehmer etwas „Echtes“ sucht; ihre arbeitslose Nachbarin Erika, die dem Investor einen runterholt. Und alle reden von Effizienz.

Trotzdem gelingt Woelfl bei den Frauen eine interessante Figurenzeichnung. Erika ist nicht nur die große Modernisierungsverliererin und Gegenstück zu Sollmann; sie hebelt das System listig anhand seiner eigenen Prämissen auseinander. Ein Supermarkt definiert sich dadurch, dass es dort alles zu kaufen gibt – aber einen Arbeitsplatz hat sie noch nie im Angebot gesehen. Also muss was faul sein. Sonja hingegen werkelt an der Implosion der Strukturen. Flexibilität, Motivation und Leistung nennt sie Sollmann als Grundlagen ihrer Liebesarbeit und belügt ihn folgerichtig, er sei ihr Erster gewesen. Da ist der Macher fassungslos.

Claudia Bauer interessiert sich nicht so für die Zwischentöne. Die Leiterin des Theaterhauses Jena setzt bei ihrer Leipziger Inszenierung auf Tempo und Überzeichnung. Zwar gelingt es ihr, die einzelnen Szenen über eindreiviertel Stunden in einem fast traumgleichen Fluss zu verbinden, doch gibt sie die Möglichkeiten einzelner Momente preis. Alle Figuren sind im Wesentlichen Neurotiker, die ihre eigene Karikatur als Bauchladen vor sich hertragen. Blödheit, vor allem Blödheit gepaart mit Macht, ist jedoch nicht allein komisch, sondern hat eine tragische Dimension. Die in dieser Farce nicht vorkommt.

Draußen kommt sie schon vor, auch wenn die Bars in der Gottschedstraße davon nicht reden. Aber nicht weit, nicht viel später, als neben der Autobahn wieder mitten im Nichts der Kaufmarkt neben dem Multikauf leuchtet, ist doch ein Gefühl von Tragik nicht zu vermeiden. Reflexartig sucht die Hand das Radio. „Mediamarkt“, sagt da ein Mann, „ich bin doch nicht blöd.“

„Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe“ von Robert Woelfl. Regie: Claudia Bauer. Bühne: Hannah Hamburger. Mit Günter Schoßböck, Christoph Hohmann, Isabel Schosnig u. a., Schauspiel Leipzig. Nächste Vorstellung: 19. 1.

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