: Wie man da reinkommt
Die hohe Kunst des Mobiltelefonierens: Kostenlose Handy-Schule hilft Anfängern durch die rätselhafte Welt der Tasten ■ Von Stefan Fuhr
„Das Handy besitze ich seit einem halben Jahr – bislang konnte ich noch keinen Anruf annehmen.“ Weil die 60-Jährige sich von den Segnungen der Kommunikationstechnologie überfordert fühlt, drückt sie nun wieder die Schulbank. Der Lehrer der Hamburger Handy-Schule, Andreas Schneider, beruhigt: „Keine Angst, wir schaffen das schon.“
Gleich Pennälern sitzen 15 Senioren am Sonnabendvormittag im „Stützkurs“, den die Firma BlueTel jetzt zweimal pro Woche kostenlos in der Hansestadt anbietet. In Berlin gibt die Telekommunikations-Firma bereits seit einiger Zeit Handy-Unterricht.
Für die meisten Anwesenden ist das digitale Telefonbuch eines mit sieben Siegeln. „Die Kinder haben da rumgefummelt, wie krieg ich das wieder weg“, will jemand wissen. Tippen, speichern, löschen – für die erste Lektion nimmt sich Andreas Schneider eine gute halbe Stunde Zeit. Das Versenden von SMS-Kurzmitteilungen steht anschließend auf dem Unterrichtsplan. Unvermittelt ertönen Tschaikowskys „Vier Jahreszeiten“ – der Herr in der ersten Reihe hat versehentlich sein Rufzeichen ausgelöst.
Elke Lange ist zur Handy-Nachhilfe gekommen, weil sie endlich begreifen will, „wie man da überhaupt reinkommt“. Obwohl die Handhabung einige Schwierigkeiten bereitet, findet sie die Erfindung des Mobiltelefons eigentlich praktisch. „Vor allem wenn man unterwegs ist, für Notfälle zum Beispiel“, sagt die 64-Jährige. Der Frührentner Holger Boysen, 63, muss sich ab und an ein Zubrot als Lkw-Fahrer hinzuverdienen; auf seinem roten Gerät ist er dann für seine Frau stets erreichbar. Der Kurs könne leider nur einen kleinen Einblick in die Welt der rätselhaften Tastenkombinationen geben, bedauert Boysen.
Mittlerweile ist der Unterricht ins Stocken geraten. Zu viele Fragen drängen sich auf. Und Schulmeister Schneider gibt sich Mühe, auf alle Wünsche einzugehen. Der 33-Jährige, der nach eigenem Bekunden „jedes Handy in- und auswendig“ kennt, bietet Wissbegierigen mit besonders ausgefallenen Handy-Modellen, Sonderunterricht zu einem späteren Zeitpunkt an.
Der Kurs gipfelt im gemeinsamen Einstellen der Klingeltöne. Schneider: „Jetzt wird's witzig.“ Der Wirrwarr aus Summ- und Pieptönen, angedeuteten Bach-Kantaten und Sirenengeheul markiert den Schlussakkord der eineinhalbstündigen Schulung.
Alle sind sich einig: Der Lehrer hat sein Bestes gegeben und hatte „mehr Geduld als ein Sonderschullehrer“. So ist die Handy-Schule denn auch ein Renner: Bis Ende März sind alle Kurse ausgebucht.
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