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Vermittlungsversuche

Der einmal vor 30 Jahren mit Ska-Konventionen brach: Desmond Dekker in der Fabrik  ■ Von Nils Michaelis

Lou Reed sagte einmal, er habe mit den stetig fließenden Tantiemen seines Solo-Hits „Walk On The Wild Side“ jahrelang seine Miete zahlen können. Desmond Dekkers „Walk On The Wild Side“ hieß „Israelites“, eroberte 1969 als erste jamaikanische Produktion die britischen Top Ten und plazierte sich seitdem als immer grüner Standardsong bei Radiosendern, die sonst eigentlich nie Reggae spielen würden.

Um noch etwas länger beim Vergleich mit Lou Reed zu verweilen: Während der New Yorker den Mythos eines innere Zerrissenheit und unterschiedliche Werkphasen durchlebenden Künstlers verkörperte, blieb Dekker irgendwie immer der, er schon am Anfang seiner Karriere war: „Leute wie Jimmy Cliff und Dekker“, kommentierte einst ein Weggefährte, „waren Jungs vom Lande, die bei den Rude Boys mitmischten und die es irgendwann mit einem kleinen Song in Leslie Kongs Aufnahmestudio geschafft hatten“.

Verwunderlich war dabei, dass Countryboy Dekker mit „Israelites“ ein Stück geschrieben hatte, dass mit mancher Ska-Konvention brach, dessen Falsett-Gesang geradezu ätherisch anmutete und dessen Melodielinie sich überaus vertrackt ausnahm, kurz: Es war ein Ska-Stück, das nicht wie ein Ska-Stück klang. Und genau dies war für die sittenstrenge alte Tante BBC im fernen England ein Argument, das Stück in ihr Programm aufzunehmen. Denn bis dahin mochte man die ungeschliffene jamaikanische Musik mit der expliziten Lyrik den Hörern nicht zumuten.

„Israelites“ war aber nicht nur ein Mainstream-Hit, sondern wurde auch von den Mods und den damals noch unpolitischen Skinheads geschätzt. Bei den Mods war Decker sogar seit 1966 in Erinnerung, als er mit „007 (Shanty Town)“ eine Ode an ihrer Majestät obersten Pis-tolero geschrieben hatte, jenem Typen, der mit eng sitzendem Anzug, akkurat gebundener Krawatte und sexy Schießeisen die beliebte Allianz von Stil und Stolz verkörperte.

So viel zu Dekkers großer Zeit. Denn während ein Lou Reed bei Fans und Kritikern immer für Überraschungen gut war, sollte sich Dekker fortan von Ska-Revival zu Ska-Revival hangeln. Auch auf seiner letzten Veröffentlichung, Halfway to Paradise beschwört er musikalisch die guten alten Zeiten, als er zugleich von Underground und Mainstream gehört wurde: Noch immer wirkt seine Musik wie der Vermittlungsversuch zwischen weichgekochter Harry-Belafonte-Exotik und allzu bekanntem Ska-Traditionalismus.

Wollte man einen Epochenbruch markieren, dann stünden auf dieser Seite ein Soulmann wie Alton Ellis, dessen Gesang immer der gewisse metaphysische Touch anhaftete, überboten von Lee Perry und King Tubby, die die experimentell-psychedelische Seite des Reggae ausloteten, gipfelnd in Bob Marley, der als oberster Sachwalter eines allgemeiner gefassten kulturell-politischen Anspruchs auf den Plan trat. Prince Buster, Laurel Aitken und eben auch Desmond Dekker stünden dagegen für jene „Eindimensionalität“ des Prä-68er-Bewusstseins, über das sich zu jener Zeit schon Herbert Marcuse aufregte.

Dekker & Co., das sei aber nicht verschwiegen, hielt dies aber nicht davon ab, immer wieder kleine, scharf formulierte Kommentare über die soziale Lage zu Songs zu verarbeiten. Und insofern ist der Verweis auf eine mögliche Kritik Marcuses so ganz richtig nicht.

heute , 21 Uhr, Fabrik

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