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Laster und Hänger irren durch die Stadt

Leben im Bauwagen: Ende November mussten sie ihr Arreal am Friedrichshain verlassen. Seither ziehen die 25 BewohnerInnen durch die Stadt. Lösung ist nicht in Sicht

Bett, Sofa, Tisch, Herd, Bücher und CDs, Kleidung und ein kleiner Fernseher. Auf wenigen Quadratmetern ist all das untergebracht, was bei durchschnittlichem Wohncomfort normalerweise über mehrere Zimmer verteilt zu finden ist. Doch den BewohnerInnen der kleinen Räume auf vier Rädern ist ein entscheidender Teil des Gefühls „zu Hause zu sein“ abhanden gekommen. Denn seit drei Wochen stehen die Wagen von Winfried und Claudia alleine an einem dunklen Straßenstück in Kreuberg. Aus dem Ideal des kollektiven „Wagenburgwohnens“ ist ein simples und individuelles „Wagenwohnen“ geworden.

Bis Ende November haben die beiden zusammen mit 23 anderen WagenburglerInnen der „Laster und Hänger“ die Freifläche am Filmtheater Friedrichshain in Prenzlauer Berg genutzt. Dort mussten sie einem geplanten Hotelneubau weichen. Für die freiwillige Räumung des Platzes Ende November haben Investor und Senat den WagenbewohnerInnen zwar 100.000 Mark Entschädigung für die Pacht eines neuen Platzes gezahlt. Doch ein innerstädtisches Ausweichquartier ist nicht in Sicht.

So stehen die Wagen und Hänger verstreut auf öffentlichem Straßenland. Mehrmals haben die BewohnerInnen versucht, Freiflächen zu besetzen, etwa am Mauerpark in Prenzlauer Berg oder an der Revaler Straße in Friedrichshain. Doch entweder wurden sie von der Polizei gleich am „Besetzen“ gehindert oder wenige Stunden später geräumt.

„Auch auf die vereinzelt stehenden Wagen hat die Polizei ein Auge geworfen“, berichtet Claudia. Sie würden immer wieder kontrolliert und beobachtet. Es sei ein Unding, dass die regulär angemeldeten Fahrzeuge nicht zusammenstehen dürften, sagt Moritz Heusinger, Anwalt der WagenburglerInnen. Noch dazu auf Flächen, auf denen dieses Verbot für andere Fahrzeuggruppen offenbar nicht gelte.

So wurde den ehemaligen WagenburglerInnen nicht eine Nacht auf dem Parkplatz vor dem Velodrom gestattet. Dutzende von LKW-Fahrern dürfen hingegen dort regelmäßig in ihren Fahrzeugen übernachten.

Eine große Sorge der Bezirksämter scheint das Zustandekommen eines „Quasi-Nutzungsrechtes“ auf einmal bewohntem Gelände zu betreffen. Dabei ließe sich die Sorge juristisch relativ leicht beseitigen. Die WagenburglerInnen sind nämlich laut ihrem Anwalt durchaus bereit, im Vorfeld eine so genannte „notarielle Vollstreckungsunterwerfung“ zu unterzeichnen. Danach dürfte ein Grundstückseigentümer ein Gelände nach Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer sofort räumen lassen, wenn die Rollheimer nicht sofort abziehen – auch ohne eine sonst notwendige Klage. Die Bezirke könnten somit völlig risikolos auch Grundstücke zur Verfügung stellen, die frühstens in vier oder fünf Jahren bebaut werden sollen. „Das ist ein ziemlicher bürokratischer Dschungel“, gibt Heusinger zu. „Aber das Problem besteht vor allem in einem politischen Nicht-Willen“.

Winfried und Claudia stehen mit ihren Wagen immerhin schon seit fast drei Wochen am selben Ort. Aber sie sind ja auch nur zu zweit. „Spätestens bei fünf bis sechs Wagen fängt bei denen eine Wagenburg an“, erklärt Winfried sich die Logik der Polizeiführung. „Wenn wir im Ansatz erkennen, dass sich eine Wagenburg bildet, schreiten wir ein“, bestätigt ein Sprecher der Polizei. Man werde es auch weiter nicht „zulassen, dass die Wagenburgen auf öffentlichen Grünanlagen stehen“.

„Der Bezirk ist nicht in der Lage, geeigneten öffentlichen Grund im Innenstadtbereich zur Verfügung zu stellen“, sagt Andreas Bossmann (PDS), Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung. Man habe zwar Flächen angeboten. Doch die seien den RollheimerInnen zu weit vom Stadtkern entfernt gewesen.

„Tendenziell wollen sie uns an den Stadtrand schieben“, ärgert sich Claudia. Und Sonja ergänzt: „Es geht schon darum, dass die Stadt ein bestimmtes Bild bekommt. Schick und sauber.“ Und da sei für Wagenburgen mit ihrem Negativimage von Kriminalität, Dreck, Drogen und Sozialschmarotzertum eben kein Platz.

Dabei wehren sich die Rollheimer ganz entschieden gegen diese Image. „Diese Autos sind ja auch teuer“, rechnet Claudia vor. „Es ist ja nicht so, dass ich sage: ‚Haste mal ’ne Mark? Nee? Gut, dann ziehe ich eben in den Wagen‘. Ich kann mir einfach nichts anderes vorstellen. Ich wohne schon so seit elf Jahren, und ich will auch weiter so wohnen.“

Das Imageproblem verbindet die WagenburglerInnen mit anderen Mobilwohnenden. Sinti und Roma, Kleinkünstler, Händler und Abenteurer unterliegen ganz ähnlichen Vorurteilen und Stigmatisierungen, genährt durch ästhetische Empfindungen kleinbürgerlicher Ordnungsvorstellungen. Einzige Ausnahme bilden in diesem Zirkel offenbar Festcamper oder SchrebergartenbewohnerInnen.

„Als nur geduldeter Wagenburgbewohner bist du für niemanden ein ernst zu nehmender Gesprächspartner“, verdeutlicht Sonja noch einmal das Problem. „Da kannste froh sein, wenn der Bürgermeister mal mit dir redet.“ Dabei gibt es auch positive Beispiele. Die Wagenburg an der Lohmühle in Treptow etwa besteht dort seit Jahren in gutem Einvernehmen mit der Nachbarschaft. In Köpenick und Karow gibt es sogar zwei Gelände mit Pachtvertag. Daher hoffen Winfried und Claudia bei anstehenden Verhandlungen am „Runden Tisch“ mit Bezirkspolitikern trotz aller Widerstände noch auf einen Kompromiss. Auch wenn derzeit noch der „politische Wille“ fehle, um die Existenz einer Wagenburg in der Innenstadt zu ermöglichen. BETTINA WEGNER

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