Hysterie um entflohenen Verbrecher

Scharfe Kritik an Gesundheitssenatorin Schöttler nach Flucht eines Sexualverbrechers aus dem Maßregelvollzug

Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) ist gestern wegen der Flucht eines Patienten aus dem Maßregelvollzug heftig kritisiert worden. Der Sexualstraftäter war bereits am Sonntagabend aus dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs für psychisch kranke Straftäter entwichen. Schöttler hatte darüber die Öffentlichkeit erst am Dienstag informiert. Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Bernd Köppl, warf Schöttler daher „Vertuschen“ vor. Die Gewerkschaft der Polizei sprach von „Schlamperei“.

Der Abteilungsleiter der forensischen Psychiatrie der Karl-Bonhoeffer-Klinik, Rolf Bayerl, stellte hingegen gestern auf einer Pressekonferenz klar, dass es sich bei dem 32-jährigen Igor P. keinesfalls um einen gefährlichen Sexualverbrecher handele. Igor P. kam 1995 zwar wegen Vergewaltigung – „als Bestrafungsaktion von möglicherweise Bandenmitgliedern“, so Bayerl – in das Krankenhaus des Maßregelvollzugs. Seine Psychose habe sich aber nach sechs Monaten unter Medikamenten gelegt und sei später ohne Medikamente gänzlich verschwunden. Igor P. sei „eine gesunde, aber kriminelle Persönlichkeit“. Parallelen zu dem mehrfach verurteilten Sexualverbrecher Frank Schmökel, der im Oktober 2000 aus dem Maßregelvollzug in Neuruppin entwichen war, verbat er sich. „Es ist nicht so, dass nun ein Sexualstraftäter auf Opfer lauert.“

Igor P. hatte im Mai 1997 einen begleiteten Ausgang zur Flucht genutzt. Mitte vergangenen Jahres wurde er in Polen verhaftet. Dort soll er an Autoschiebereien beteiligt gewesen sein. Aufgrund des Haftbefehls in Deutschland musste er nach seiner Festnahme zurück in den Maßregelvollzug. Die jetzige Flucht, die erste nach acht Jahren aus dem Maßregelvollzug, gelang ihm mit einem Schraubenzieher und außerordentlicher Körperkraft. Woher er den Schraubenzieher hatte, um die Schrauben der Panzerglasscheiben zu lockern, war gestern noch unklar.

Die Gesundheitsverwaltung hat nach Angaben von Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer mittlerweile eine zusätzliche Fenstersicherung und Stacheldraht um die Dächer herum veranlasst, um die Sicherheit zu erhöhen. Die Vertuschungs-Vorwürfe wies sie entschieden zurück. „Öffentlichkeitsarbeit ist Sache der Polizei.“ Eine Polizeisprecherin sagte hingegen zur taz, dass die Gesundheitsverwaltung zuständig gewesen sei.B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA