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Perlende Pointen beim Piccolo

Heute wird das Jubiläum „100 Jahre Kabarett“ gefeiert – eine Fest- und Trauerrede

Im Kleinwitzkabarett wird von oben nach unten auf einem Niveau bedient und konsumiert

Der 18. Januar 1901, an dem Ernst von Wolzogen in der Berliner Alexanderstraße 40 sein „Überbrettl“ eröffnete, gilt als Geburtstag des deutschen Kabaretts.„100 Jahre Kabarett“, was soll das sein? Ein Fest? Ein Jubiläum? Wenn ja, werden sich sicherlich die Richtigen am festlichen Jubelakt beteiligen. Die Sorte Kabarettist, die sich gern selbst feiert. Die sich selbst klasse findet. Weil sie so schlau ist, so wortwitzig, so ungemein gemein die Pointen perlen lässt. Bestimmt wird dieser Galaabend des scharfzüngigen, geschliffenen, gedrechselten 100-jährigen Kabaretts in einer klassischen Ruhmeshalle dieser angeblichen Kunst abgehalten, die sich selbst so gern das niedliche „Klein“ vorsetzt. In einem Kleinkunsttempel – auf einer Kleinkunstbühne – vor einem Kleinkunstpublikum. Als sei Zwergenhaftigkeit in der Kunst ein Gütesiegel. Und nicht etwa die haargenau zutreffende Beschreibung dessen, was jede Art von wahrhaftiger Unterhaltung eben nicht sein darf: kleingeistig, borniert, selbstverliebt, spießig. Also genau das, was eine gewisse Sorte Kabarett ausmacht. Jene Sorte, in der uninspirierte Kleinkünstler nachrichtenaktuelle Themenlisten mit 100-jährigen Pointen abarbeiten vor einem von sich selbst begeisterten Publikum. Eins, das sich bei Piccolo und Erdnüsschen köstlich amüsiert über jeden Kleinwitz, den es verstanden hat. Der einzige Moment der Wahrheit, der dabei zu bemerken ist: Da wird von oben nach unten auf einem Niveau bedient und konsumiert.

„100 Jahre Kabarett“, was wird es da geben? Kleine goldene Armbandührchen für verdiente Mitarbeiter der Kleinkunstbranche? Überreicht von humorsachverständigen Kulturpolitikern? Preisreden von Laudatoren aus dem eigenen Stall, die ihre Kollegen dafür loben, dass sie genau dasselbe machen wie sie?: Wortwitze, die sie selbst toll finden. Pointen, bei denen „dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt“? Wie oft wurde dieser amtliche Kabarettqualitätsbeweis eigentlich schon attestiert? Hundertmal? Tausendmal? Hunderttausendmal? Ach, wenn es doch wenigstens einmal gestimmt hätte. Nur ein einziger einem einzigen Zuschauer mal so richtig quer in der Strotte stecken gebliebener Kleinkunstlacher, der wär’s mal gewesen. Da hätte es wirklich mal groß was zu feiern gegeben.

Einem Kabarettbetrieb, der sich in gewohnt gewöhnlicher Weise selbst für sein 100-jähriges Bestehen beweihräuchern will, sollte so was nur gestattet werden, wenn er es in einer hermetisch geschlossenen Veranstaltung tut, in der er sich an seinen eigenen Säften berauschen kann. Leider hat er aber die unangenehme Eigenschaft, sich einzuverleiben, was er für seinesgleichen hält. Da wird dann gern alles Kabarettist genannt, was nicht bei drei hinter dem Vorhang verschwunden ist. Einen literarischen Hochkomiker wie zum Beispiel den großen Gerhard Polt aber gleichzusetzen mit den zahllosen und leider viel beschäftigten so genannten Politkabarettisten oder mit ihren depperten Adepten neuerer Bauart, den so genannten Comedians, ist nicht nur eine branchentypische Geistlosigkeit, sondern eine dreiste Verharmlosung seines Schaffens.

Weil die Berufsbezeichnung Kabarettist heute so dümmlich verallgemeinert wird, trifft sie auch diejenigen, die sie wirklich nicht verdient haben. Es ist also nicht ihre Schuld, dass man eine Feier zum hundertjährigen Bestehen des Kabaretts im Jahre 2001 nur gerecht begehen kann, wenn man sie zur Bestattung erhebt. Er ist zwar ziemlich naiv, aber an Feiertagen darf man ja einen Wunsch äußern. Also: die Guten aufs Bühnchen, die Schlechten ins Grübchen.

FRITZ ECKENGA

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