piwik no script img

Techno-Panik befällt das Theater

Das Theaterhaus Weimar, eine Off-Truppe, gastiert jetzt mit dem Stück „Der Stuntman übernimmt die Rolle des Darstellers“ im Kunsthaus Tacheles

Umzingelt von den vielen neuen Medien, befällt das Theater ja gelegentlich die Panik, als Uraltmedium ein Auslaufmodell zu sein. Manche igeln sich dann trotzig ein in ihren plüschigen Häusern und schimpfen auf die Kälte dieser neuen Welt. Andere wiederum suchen nach Schuldigen und finden sie bei Werbeagenturen, Medienmenschen und Computerspezialisten, die die Welt nur als entfremdet, virtualisiert und generell entmenschlicht mögen.

Es kann aber auch anders kommen, zum Beispiel beim Theaterhaus Weimar, einer Off-Truppe, deren Spielort ein ehemaliger Konsum-Laden ist. „Technology. Anarchy“ hieß eine Projektreihe, mit der in der Spielzeit 1999/2000 die Truppe um den Regisseur Janec Müller schnell zu einer hochgehandelten Adresse der freien Szene wurde. Auch deshalb, weil hier Medien- und Theatertechniken eine ziemlich produktive Verbindung miteinander eingegangen sind.

Als Zuschauer des neuen Stückes „Der Stuntman übernimmt die Rolle des Darstellers“ landet man wiederum in einer Agentur. Hier trifft man auf drei wie geklont wirkende Wesen, die auf den ersten Blick wegen ihres identischen Outfits (Glatze, Brille, beige Hose, roter Pullover) auch ohne bestimmtes Geschlecht zu sein scheinen. Und so ist man überrascht, dass sie überhaupt Namen wie Helen (Susann Hempel), Howard (Olaf Helbing) und Hutch (Fabian Frauendorf) haben. Den dreien kann man dann bei der „construction of a dangerous situation in a presentation room“ zusehen. Dabei scheint es sich um einen Auftrag zu handeln, aber irgendwie auch um das Leben. Die Unterschiede sind nicht mehr klar auszumachen. Damit wäre im Wesentlichen die Geschichte des Abends schon erzählt, die Müller und seine Darsteller dann immer wieder bis an die Schmerzgrenze vorführen.

Während also auf einer Leinwand in der Mitte der Bühne per Animation oder Filmeinspielung immer wieder gefährliche Situationen zu sehen sind, passiert auf der Bühne nichts Äquivalentes. Hier versuchen drei Leute, sich aus allem herauszuhalten: nichts zu tun, nicht zu arbeiten und vor allem nicht zu leben. Das haben sie längst verlernt, und Reste von Sehnsucht werden wie Betriebsstörungen zur Kenntnis genommen. „Ein nützliches Wesen zu sein ist irgendwie häßlich“, sagt Hutch zwar irgendwann. Eine gute Stunde nun sieht man dem Experiment aus Weimar zu, sieht Menschen mit ihren Körpern ins Leere gehen, mit ihren Seelen in Nichts.

Dafür wurde eine kantige und durch ihre Seelenlosigkeit herzzerreißende Körpersprache gefunden. An einer Stelle bewegen sich Helen und Hutch so eckig und marionettenhaft, als sähe man einem Video zu, dessen Bilder rückwärts laufen. Später treffen wir sie tatsächlich auf der Leinwand wieder. Sie tragen Perücken und heißen Katherine und Bruce. Sie sehen jetzt viel echter aus als ihre Bühnenfiguren, denen man leibhaftig gegenübersaß. Und so klärt sich dann auch der Titel des Abends auf: Der Darsteller ist überflüssig, weil man einen echten Körper von einem falschen sowieso nicht mehr unterscheiden kann. Oder doch? ESTHER SLEVOGT

Kunsthaus Tacheles: Gastspiel Theaterhaus Weimar, „Der Stuntman übernimmt die Rolle des Darstellers“.Inszenierung: Janec Müller. Mit SusannHempel, Fabian Frauendorf und OlafHelbing. Weitere Vorstellungen: am 20., 21., 25., 26., 27., 28. Januar 2001, jeweils um 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen