: Zufallsprodukt
Das fotografische Werk von Alfred Eisenstaedt im Postfuhramt: Fotografie in Berlin heißt, Galerien und Initiativen ersetzen das fehlende Museum
von HARALD FRICKE
Auch ohne eigenes Museum hat die Fotografie in Berlin eine breite Lobby. Der immer noch expandierende Markt wird bereits mit Galerien wie Berinson, Camera Work, Niemann oder imago fotokunst, und seit gestern auch Kicken, abgedeckt. Und während in der Frage um ein Centrum für Photographie mit Helmut Newtons Sammlung als Kernstück weiter debattiert wird, hat sich inzwischen auch eine Interessengruppe aus Galeristen wie Matthias Arndt und dem Fotografen Stefan Erfurt gefunden, die das Medium nicht museal, aber doch institutionell verankern möchte.
Das Projekt firmiert unter dem Namen c/o, weil es momentan eben nur eine Übergangsadresse gibt: Nach Ausstellungen über „Magnum“ und Martin Parr muss der Verein, der mit der Hamburger Focus-Bildagentur eng zusammenarbeitet, die Räume des Postfuhramts verlassen, im April findet hier die nächste Berlin Biennale statt. Bis ein neuer Präsentationsort gefunden ist, kann man sich in einer Retrospektive zu Alfred Eisenstaedt über den true spirit der Reportagefotografie aus dem letzten Jahrhundert informieren.
Dabei spiegelt sich in Eisenstaedts Biografie eine sehr deutsche, wenn nicht berlinische Karriere wider: In der Weimarer Republik als Gesellschaftsfotograf und Bildreporter für die Berliner Illustrierte tätig; nach der Machtübernahme durch die Nazis Probleme mit der neuen Ausrichtung von Kultur zu Propagandazwecken; 1935 dann Exil und Aufstieg zum Starfotografen beim Life-Magazin. Andreas Feininger, Ilse Bing oder Erich Salomon erging es nicht anders.
Eisenstaedt war indessen kein ausgewiesener Gegner des Regimes, nur skeptisch. Wenn er den Auftrag bekam, Joseph Goebbels 1933 in Genf bei einer Sitzung des Völkerbundes zu fotografieren, wurde der Job gemacht. Doch die entsprechende Aufnahme dokumentiert vor allem eine ungeheure Feindseligkeit – so hasserfüllt wie Goebbels hat man jedenfalls selten einen Politiker in die Kamera blicken sehen. Mit diesem Foto zeigte er schon früh ein echtes Bild des Faschismus.
Sonst war er allerdings mehr an Schönheit und Glamour interessiert. Mit Begeisterung hastet der 1898 geborene Eisenstaedt Anfang der Dreißigerjahre durch die europäische High Society, steigt den Promis beim Skiurlaub in Sankt Moritz hinterher oder sucht in der Mailänder Scala nach bekannten Gesichtern. Zum Paparazzo wird er trotzdem nicht, davor bewahrt ihn sein Gespür für das perfekt komponierte Foto. Schon bei den frühen Arbeiten trickst Eisenstaedt im Labor, wählt ungewöhnliche Ausschnitte und achtet auf klare geometrische Schatten oder die Weichzeichnereffekte von natürlichem Licht. So sehen seine Bildstrecken über Ballettschülerinnen wie eine Weiterführung der impressionistischen Szenen bei Edgar Degas aus. Und auch das Portrait einer Japanerin mit Kind hat ein Vorbild: Leonardo da Vincis Mariendarstellung. Allein die verkohlten Bäume im Hintergrund lassen erkennen, das er dieses Motiv 1945 nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima aufgenommen hat. Das unterscheidet die Darstellung der Wirklichkeit von einer künstlerischen Idylle.
Die Raumaufteilung im Postfuhramt folgt der wachsenden Popularität Eisenstaedts, der vor fünf Jahren starb: 1958 wird der Life-Hausfotograf zu einem der „zehn größten Fotografen“ gewählt. Als Superstar des Bildjournalismus bekommt er von Leica die Jubiläumskamera Nr. 1.000.001 überreicht, um das erste Foto von John F. Kennedy nach dessen Amtseinführung als US-Präsident zu machen. Vermutlich hat man Eisenstaedt in Amerika nicht nur als Künstler geschätzt, sondern auch als Patrioten: Immerhin stammt von ihm das Foto, auf dem sich ein Matrose und eine Krankenschwester in New York beim Siegeszug der Army nach der japanischen Kapitulation küssen.
Aber auch dieser Moment ist bloß ein Produkt des Zufalls, auf den der Fotograf lange warten musste. „Man braucht eben viel Geduld“, das war Eisenstaedts Resümee, nachdem er bald 2.500 Fotoaufträge für Life abgewickelt hatte. Für ein melancholisches Portrait von Michael Baryschnikow blieben ihm dennoch nur vier Minuten während einer Probenpause, und der schlecht gelaunte Ernest Hemingway wollte bei der Fotosession mehrmals auf Eisenstaedt losgehen. Am Ende sind sich die beiden auf halbem Wege entgegengekommen: Die Wut in den Augen von Hemingway prägt sich dem Betrachter heute noch ein. Eisenstaedt nahm’s gelassen, schließlich war er Profi.
Bis 11.03., Di-Sa 12-21 Uhr, Postfuhramt (Obergeschoss) / Eingang Tucholskystraße 19/21.
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