: Wunschmaschine Trampolin
Die 1941 produzierte US-Serie „The Adventures of Captain Marvel“ im Eiszeit-Kino
Der Einstieg ist klassisch. Eine Expedition amerikanischer Wissenschaftler öffnet in Siam eine Grabkammer, auf der ein Fluch liegt. Nur der Radioreporter Billy Batson schreckt vor diesem Schritt zurück. Als Dank verleiht ihm ein alter Magier daraufhin übermenschliche Fähigkeiten. Ein Superheld ist geboren: Billy Batson kann sich von nun an in Captain Marvel verwandeln – einen Unsterblichen mit übermenschlichen Kräften.
Mit dieser Gründungslegende beginnt die 1941 produzierte Fernsehserie „The Adventures of Captain Marvel“. Sie kam durch einen Zufall zustande. Nachdem die Republic Studios erfolglos mit dem Verlag DC über eine „Superman“-Serie verhandelt hatten, griffen sie auf die in den 30er-Jahren von Fawcett Comics entwickelte Figur des Captain Marvel zurück. Aus Superman, dem heute wohl bekannteren Helden, wurde statt dessen zunächst ein Zeichentrickfilm.
Wenn Billy Batson sich in Captain Marvel verwandelt, kann er natürlich fliegen, genau wie Superman. Das Fliegen ist eine Kunst, die Filmfiguren schon seit längerem beherrschen, was man angesichts der Aufregung um die digitalisierte Schwerelosigkeit in „Matrix“ oder jüngst „Tiger and Dragon“ manchmal vergisst. In der sechzig Jahre alten Fernsehserie um Captain Marvel war natürlich alles handgemacht. Der Stuntman David Sharpe hebt mit ausgestreckten Armen von versteckten Trampolinen ab, und längere Flugstrecken wurden mit Dummys bewältigt, die an Metalldrähten durch künstliche Studiowolken gleiten: Die einfach gehaltenen Trickaufnahmen haben mehr Tiefe als ähnliche Einstellungen, die man in Farbfilmen später mit dem Blue-Screen realisierte.
Dazu kommen die kunstvoll geschnittenen Cliffhanger, die am Schluss jeder Episode die Unverwundbarkeit des Helden herausstellen. Billy Batson steuert dann etwa ein Flugzeug, in dem eine Bombe mit Zeitzünder versteckt ist. Die letzte Einstellung zeigt, wie die Maschine explodiert. Erst in die Wiederholung der Szene, die die nächste Folge eröffnet, ist die Einstellung einmontiert, in der Billy sich, durch einen Funkspruch gewarnt, kurzerhand verwandelt und das Cockpit im freien Gleitflug verlässt: The story continues.
Dass die amerikanischen Fernsehzuschauer sich 1941 jede Woche wieder in die Abenteuer von Billy Batson und Captain Marvel eingeschaltet haben, hat jedoch nicht allein mit dem Spannungsbogen zu tun, der sich mit dem Cliffhanger immer wieder neu öffnete. Die USA standen damals kurz vor dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg, und für das Bild einer unverwundbaren Nation war der stabile Superkörper Captain Marvels die passende Projektionsfläche. Darin, dass Billy Batson am Ende der Fernsehserie in Abweichung vom Comic nach bestandenem Kampf gegen seine Feinde die übermenschlichen Fähigkeiten wieder verliert, zeigt sich dagegen ein anderer amerikanischer Wunsch – die Rolle des Helden irgendwann in aller Unschuld wieder ablegen zu können.
Die Hoffnung wurde enttäuscht. Aus der Fantasie vom Superhelden wurde die Realität der Supermacht: Für die USA hörte bekanntlich nach dem 2. Weltkrieg der Kampf gegen das vermeintlich Böse im Rest der Welt nie wieder auf.
KOLJA MENSING
Sa., 22 Uhr, die komplette „Captain Marvel“-Serie, Eiszeit, Zeughofstr. 5
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