: „Eine andere Welt ist möglich“
Die Vorbereitungen für das erste Weltsozialforum laufen auf Hochtouren – nicht nur Brasiliens Linke erhofft sich einen neuen Schub gegen die neoliberale Hegemonie
SÃO PAULO taz ■ Hektische Betriebsamkeit im Vorbereitungsbüro des Weltsozialforums in São Paulo: Seit gut vier Monaten stehen die Telefone der sieben MitarbeiterInnen nicht mehr still. Noch fünf Tage – dann wird im südbrasilianischen Porto Alegre das erste große Treffen gegen den Neoliberalismus stattfinden, das an die Proteste von Seattle, Prag und Nizza anknüpft und zugleich über sie hinausweisen soll. Auf dem Tisch liegen Plakate und Buttons mit dem Tagungsmotto „Eine andere Welt ist möglich“.
Gemeint ist: Eine andere Welt als die, die auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zeitgleich geplant wird. In den Schweizer Bergen werden sich Manager, Firmenchefs und Politiker treffen und wichtige Entscheidungen vorbereiten: Wie die Finanzmärkte gesteuert werden können oder wie ein neuer Ölschock verhindert werden kann. An der südamerikanischen Atlantikküste kommen 10.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt zusammen, um ein Gegenkonzept aufzustellen. 2.700 Delegierte aus sozialen Bewegungen, NGOs, Gewerkschaften und politischen Gruppen werden erwartet. Es gibt ein Jugend- und ein Indigenencamp. Neben Podiumsdiskussionen sind Workshops geplant. Prominente Gäste sind die indische Feministin Vandana Shiva, der Nobelpreisträger José Saramago, der Befreiungstheologe Leonardo Boff und der Schriftsteller Eduardo Galeano. Logistische Unterstützung leistet die Landesregierung unter Ägide der Arbeiterpartei PT, die den Bundesstaat Rio Grande do Sul bereits seit zwölf Jahren regiert.
„Den Geist von Seattle aufrechterhalten“, laute das Gebot der Stunde, sagt Mitorganisator Antonio Martins, Redakteur der brasilianischen Ausgabe von Le Monde diplomatique. Die Struktur des sechstägigen Weltsozialforums sei darauf ausgerichtet: In den nachmittäglichen Workshops und den Mobilisierungen außerhalb der Katholischen Universität kommt die ganze Vielfalt der Globalisierungskritik zum Tragen. Vormittags finden insgesamt 16 Debatten statt, die in thematische Stränge gebündelt sind: Da geht es um Produktion und Handel, die Verteilung des Reichtums und Nachhaltigkeit, Demokratisierungsstrategien und vieles mehr. „Es wird keine Leitanträge, Abstimmungen oder ein künstliches Schlussmanifest geben“, betont Martins. „Wir möchten auf jeden Fall interne Streitereien vermeiden.“ Porto Alegre solle nur „der erste Schritt“ hin zu einer solidarischen Weltordnung werden.
Die einheimische Linke, von der brasilianischen Elite oft als nationalistisch und antiquiert abgestempelt, möchte mit dem Forum Boden gutmachen: „Es wird sich zeigen“, so Martins, „dass der Widerstand gegen den Neoliberalismus die modernste internationale Strömung ist.“ Auch freue er sich darauf, dass die manchmal arg selbstbezogene Linke gut „durchlüftet“ werde. Von den vielen Initiativen, an denen sich auch Psychoanalytiker und mittelständische Unternehmer beteiligen, sei hier nur der „Internationale Ringelreihen der unabhängigen Information“ genannt: JournalistInnen und Medien stellen dabei ihre Beiträge unentgeltlich in einen Pool und können sich im Gegenzug bei den anderen Mitgliedern des Pools bedienen. So soll nicht nur eine möglichst breite Berichterstattung erzielt werden, sondern auch das von der digitalen Shareware bekannte Konzept des „Copyleft“ auf den Print- und Fotojournalismus übertragen werden. Wie das im Cyberspace funktioniert, lässt sich bald auf der Homepage www.forumsocialmundial.org.br studieren. Infos auch unter www.attac.org
GERHARD DILGER
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