: Gegen die Mehrheit der Zweifler
Der neue Präsident muss die Bevölkerung der USA überzeugen, dass er sie auch ohne Ahnung von Wirtschaftspolitik vor einer Rezession bewahren kann
aus Washington STEFAN SCHAAF
Es wird für ihn kein angenehmer Moment werden, wenn George W. Bush zum ersten Mal als Präsident der Vereinigten Staaten die Treppe der Air Force One hinuntersteigt, um mit einem der Staats- oder Regierungschefs der europäischen Verbündeten zusammenzutreffen. Bislang kennt Bush Europa praktisch nicht aus persönlicher Anschauung, und, das darf vermutet werden, es hat ihn eigentlich auch nicht interessiert.
Europa hat den texanischen Gouverneur im Wahlkampf und danach mit skeptischem Blick beobachtet. Ist er fit für den Job? War sein hauchdünner Sieg in Florida legitim, entsprach seine Wahl dem Volkswillen? In Europa, wo man die Heterogenität der USA und ihres politischen Systems traditionell unterschätzt, schüttelte man den Kopf über das Wahl- und Nachwahlspektakel von West Palm Beach und Talahassee und das anachronistische System des Wahlmännerkollegiums. Der 43. Präsident der mächtigsten Nation der Welt gewann die Wahl nicht weil die Mehrheit ihn gewählt hat, sondern auf der Grundlage einer Gerichtsentscheidung.
In der europäischen Presse sind seine Taten, Äußerungen und Vorhaben hart kritisiert worden. Boulevardblätter wie der britische Mirror oder die Hamburger Morgenpost – letztere nannte ihn in ihrer Schlagzeile den „Totmacher“ – bezeichneten ihn wegen der 140 in Texas vollstreckten Todesurteile als mordlüsternen Henkersknecht.
Die katholische Bruderschaft Sant Egidio aus Rom hat mehrere Millionen Unterschriften gegen die Hinrichtungspraxis in den USA gesammelt, US-Botschaften in Europa berichten warnend von wachsenden Ressentiments wegen der Exekutionen auch von Frauen und Geistesgestörten.
Eine tiefe Kluft zwischen der amerikanischen und der europäischen Weltsicht wird sichtbar, nicht nur wegen des alttestamentarischen Rachegedankens, der den Strafvollzug bestimmt, sondern auch wegen des selbstherrlichen Umgangs der US-Amerikaner mit den Ressourcen unseres Planeten und wegen ihres dickfelligen Beharrens auf einem Raketenabwehrsystem, das die gesamte internationale Vertragsarchitektur über die nukleare Abrüstung in Frage stellt (siehe Beitrag unten).
In Europa entstehe gegenwärtig der Eindruck, schrieb Martin Kettle, der US-Korrespondent des britischen Guardian in einem Beitrag für die Washington Post, dass es „ein Gesetz für das privilegierte Amerika und andere für den Rest der Welt“ gebe.
Der Ton der europäischen Debatte hat sich verändert seit dem Ende des Kalten Krieges. Die US-Außenpolitik und die Kritik der europäischen Linken dreht sich nicht mehr primär um Versuche, nationalistische bis sozialrevolutionäre Bestrebungen in Südostasien oder Lateinamerika zu stoppen. Das Ende der Sowjetunion und die Öffnung der Märkte haben dafür gesorgt, dass solche Ideen es schwerer haben und keine Bedrohung für die Vereinigten Staaten mehr darstellen.
Aus der zunehmend selbstbewussten europäischen Sicht wird vielmehr das Verhalten der USA innerhalb ihrer Grenzen zum Problem: Die Weigerung vor allem, gegen den immensen Energieverbrauch in den USA vorzugehen und den internationalen Klimaschutz-Protokollen zuzustimmen. Einfach nur auf Unverständnis stößt die absurd erscheinende Debatte um Schusswaffen und die Todesstrafe. Amerikanische Werte – bedeuten sie Freiheit, Multikulti, Erfindungsreichtum und technologische Innovation, oder stehen sie für dümmliche TV-Serien, Gefräßigkeit und den PS-Imperialismus Sprit schluckender Monsterautos?
Auch im internationalen Konzert haben sich die USA immer wieder isoliert: durch die Ausblutung der Vereinten Nationen, weil die USA lange ihre Beiträge schuldig blieben, oder durch die Verteufelung des kubanischen Staatschefs Fidel Castros. Was hat das mit George W. Bush zu tun? Er und seine republikanischen Parteifreunde sind die Protagonisten dieser Politik: der harten Strafjustiz, der locker sitzenden Knarren und des strikt nach innen gerichteten Blickes bei allen globalen Fragen.
Die Rolle der USA als Führungsmacht der demokratischen Welt, die sie unter Clinton etwa in Bosnien eingenommen haben und die der designierte Außenminister Colin Powell diese Woche erneut reklamierte, erscheint da gegenwärtig nebensächlich. Zu verschlossen sind die Ohren der neuen US-Regierung für die Bedenken gegen ihre angekündigten Initiativen, während Vizepräsident Al Gore auf der Höhe der internationalen Debatte über globale Fragen war.
Bedenken gegen die Bush-Agenda kommen nicht nur aus Übersee. Einige der politischen Thesen aus seinem Wahlkampf sind auch in den USA höchst umstritten. Die Ausweitung der Erdgasförderung in Naturschutzgebieten etwa, mit der Bush der Energieknappheit und der Abhängigkeit von Ölimporten begegnen will; die Energie-, Holz- und die Bergwerksindustrie haben bereits eine Wunschliste vorgelegt, welche der von Clinton verkündeten Beschränkungen sie gerne gekippt sähen. Umfragen zeigen allerdings, dass nur wenige Prozent der Bevölkerung eine Lockerung der Umweltgesetze befürworten, weit mehr als die Hälfte hingegen für ihren Fortbestand eintritt.
Ein Verbot der Abtreibung, wichtigstes Anliegen der christlichen Rechten in den USA, wurde noch nie von einer Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Auch bei der scheinbar sakrosankten Praxis der Todesstrafe ist die Unterstützung schwächer als in Europa vermutet: Befragt, ob sie eher für die Todesstrafe als für lebenslängliche Haft ohne Bewährung einträten, entschieden sich nur 50 Prozent für die Option der Todesstrafe. 63 Prozent haben Zweifel an der Fairness dieser Strafe – immerhin mussten seit 1973 89 zum Tode Verurteilte als Unschuldige aus der Haft entlassen werden. Als Präsident hat Bush allerdings sehr viel weniger als bisher mit Todesurteilen zu tun. Nur knapp 30 von der Hinrichtung bedrohte Gefangene unterstehen der Bundesregierung, in Texas sind hingegen derzeit 448 Gefangene in der Todeszelle inhaftiert.
George W. Bush steht eine Phase harter Überzeugungsarbeit bevor. Er muss die Bevölkerung der USA überzeugen, dass er sie vor einer Rezession bewahren kann, obwohl sein Wirtschaftsteam kaum Ahnung vom Wirtschaftsmotor New Economy hat. Er muss sie überzeugen, dass er intellektuell jeder denkbaren Krise gewachsen ist.
Derzeit überwiegt die Skepsis: Nur 41 Prozent der US-BürgerInnen glauben, dass er ein Mandat habe, sein Wahlkampfprogramm umzusetzen. Selbst gegen seine geplanten gewaltigen Steuerkürzungen sprachen sich 51 Prozent der Befragten aus.
Auch im Stadtbild Washingtons spiegelt sich das wider: Bis zu 70.000 Menschen werden am Samstag Nachmittag während der Inaugurationsparade gegen George W. Bush protestieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Hauptstadt ist die Strecke entlang der Pennsylvania Avenue mit einem meterhohen Drahtzaun abgesperrt.
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