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Das Schweigen der Lämmer

■ Haben Raben den Nachwuchs des Tiergeheges am Jürgenshof verspeist? Auch die großen Tiere wird es dort nicht mehr lange geben, sagen die genervten Pächter.

Würde man eine Liste der beliebtesten Ausflugsziele Bremens erstellen – das Gelände vor dem Jürgenshof an der Weser würde irgendwo ganz weit oben rangieren. Mindestens für diejenigen Mütter und Väter, die ihren Stadtkindern die Scheu vor den gehörnten Ziegenböcken, den gefräßigen Schafen, den zotteligen Galloways nehmen möchten, die dort – hinter Zäunen versteht sich – recht einträchtig weiden.

Doch die Idylle trügt bisweilen. Am Himmel kreist das Unglück, in den Bäumen sitzt es und krächzt. Raben und vor allem Krähen haben das Tiergehege, vor allem den Nachwuchs, als Nahrungsquelle entdeckt. Die Brut der jungen Wildenten wird häufig – kaum geschlüpft – vom Wasser gepflückt wie reifes Obst. Nun stehen die schwarzen Vögel im Verdacht, auch die drei vor kurzem neugeborenen Lämmer der Kamerun-Schafe „gerissen“ zu haben. Passanten empören sich, dass die Lämmchen auf zitternden Beinen im Schnee stehen und ein gefundenes Fressen für die dort zahlreich brütenden Krähen darstellen. Schließlich ist man an der Weser und nicht auf Safari, wo ,bloody nature' unter Umständen mit ins Programm gehört.

Die Pächter des Geländes und Besitzer der Tiere jedenfalls sind bitter gestimmt, ob des Undanks, den sie sich von den unkundigen Städtern immer wieder einhandeln. Umgekehrt haben sie vor dem Krähenproblem offenkundig kapituliert. „Letztes Jahr haben wir versucht, die Lämmer im Stall zu halten, aber die kriegen totale Panik“, sagt Andreas B., dessen Vater sich in der Rente mit dem Gehege einen „Kindheitstraum“ erfüllt habe. Die Kamerun-Schafe, die dort weiden, seien es gewöhnt, unter freiem Himmel zu leben. Also sei man wieder dazu übergegangen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. „Das ist Natur, da kann man nichts machen.“

„Nein, so ist die Natur nicht“, sagt dagegen Wolfgang Apel, Vorsitzender des Deutschen Tierschutzbundes: „Die Tiere dort sind doch völlig wehrlos.“ Seiner Ansicht nach gehört es zur Halterpflicht, dass die Schafe mit ihren Sprösslingen in Obhut gebracht werden, notfalls hinter Schloss und Riegel. „Es kann mal passieren, dass ein Lamm gerissen wird. Aber wenn dort die Haltung herrscht, dass das einfach so passieren kann, dann sind sie mit ihrem Hobby vielleicht überfordert“, mutmaßt Apel.

In einem Gehege mitten in der Stadt dürfen nicht nur die Gesetze der Natur gelten, das findet auch Hermann Singer, Leiter der Abteilung Bauten und Grundstücke bei der Sparkasse. Die ist nämlich Verpächterin des Grundstücks und hat das Areal für die ländliche Nutzung kostenlos zur Verfügung gestellt. „Aber wir sind überzeugt davon, dass B. Senior die Tiere gut betreut.“ Werner B., selbst ehemaliger Sparkassen-Angestellter, muss-te jedenfalls noch keine Beanstandungen entgegennehmen bei den Kontrollen durch das Veterinäramt.

Dennoch haben die Pächter, denen heute wegen der Lämmervorfälle am Wochenende eine neue Kontrolle ins Haus steht, so langsam „die Nase voll“. „Mein Vater hat schon angefangen, Tiere zu verkaufen, wir lassen das jetzt so langsam auslaufen“, sagt Andreas B., Auch er arbeitet bei der Sparkasse.

Die Sparkasse, der Pferde und Rinder gehören, dementiert. „Wenn die Pächter wirklich nicht mehr wollen, wäre das notfalls mit uns abzustimmen“, so Hermann Singer. Auch wenn das Ganze „Zuschussgeschäft“ sei, weshalb es auch nicht in Frage komme, noch einen Pfleger zu bezahlen, der für längere Zeit am Tag vor Ort ist. So ist das zum Beispiel im Bürgerpark. „Wir würden so etwas ohne einen Tierpfleger vor Ort nicht machen“, sagt Werner Damke, Bürgerparkdirektor über den kleinen „Zoo“. Schon wegen der Vielzahl von Besuchern, die am Jürgenshof trotz Verbots und mangels Aufsicht füttern, was der Mülleimer hergibt – und damit übrigens auch die Krähen bei Laune halten. Bei den Pächtern ist man zu einer ähnlichen Einsicht gelangt. Andreas B.: „Es hat wohl keinen Zweck, das Gehege zu behalten, wenn man nicht auch vor Ort wohnt.“ Elke Heyduck

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