Rattenscharfer Wissenschaftspoker

Mit 600 Studenten diskutierten am Dienstagabend der Wissenschaftssenator, der FU-Präsident und der Leiter des OSI über die Zukunft des politikwissenschaftlichen Instituts. Für die Kürzungen dort will keiner verantwortlich sein

„Herrschaftskritische Wissenschaften werden in Berlin resterledigt“

Kartenspiele können durchaus unterhaltsam sein, selbst wenn der Spieleinsatz die Zukunft der Sozialwissenschaften in Berlin ist. Genauer gesagt, die Zukunft des Otto-Suhr-Instituts (OSI) an der Freien Universität. Am Dienstagabend trafen sich in einem Hörsaal des Henry Ford Baus der Freien Universität sieben Zocker, allesamt unterschiedlichste Spielernaturen, um eine Partie Wissenschaftspoker zu wagen. Die verlief „rattenscharf“ – meinte zumindest Eberhard Sandschneider, der Leiter des OSI.

Allerdings bemühten sich einige der sieben Kartenhaie vor allem darum, nicht auf dem schwarzen Peter für die Kürzungen sitzen zu bleiben. Die mehr als 600 Zuschauer, überwiegend Studenten, im übervollen Hörsaal quittierten die zeitweilige Phrasendrescherei mit Hohngelächter und zeigten den Betroffenen vorher verteilte rote Karten. Insgesamt verlief das vom Spiegel mitorganisierte zweistündige Treffen von Wissenschaftssenator, FU-Präsident, OSI-Professoren und -StudentInnen jedoch konstruktiv – auch als nach einer Einleitungsrunde die beiden studentischen VertreterInnen das Podium verließen, um das Publikum in die Debatte einzubinden.

Grund für die anstehenden Kürzungen sei allein der Sparzwang, erklärte Wissenschaftssenator Christoph Stölzl am Dienstagabend. Dass die kritische Ausrichtung einiger wissenschaftlicher Disziplinen den Ausschlag für eine stärkere Streichung gegeben habe, wies er zurück. Es gebe schlichtweg keine politischen Vorgaben des Landes. Letzten Endes entscheide über die Zukunft eines Instituts das Präsidium der FU.

Dem sei natürlich nicht so, schob der Präsident der FU, Peter Gaehtgens, den schwarzen Peter weiter. „Eigentlich unakzeptabel“, nannte er die Lage an den Hochschulen in Berlin und erntete dafür sogar seltene Zustimmung der Studenten. Über die Stuktur des OSI werde der Akademische Senat erst im nächsten Semester entscheiden.

Diskutiert wird über die Zukunft des politikwissenschaftlichen Instituts der FU, noch 1993 mit 42 Professoren das größte in Deutschland, schon länger. Die Debatte bekam jedoch einen neuen Schub, als der Wissenschaftsrat im Mai letzten Jahres empfahl, das Institut auf 12 Professuren zu reduzieren. Kritiker befürchten dadurch das Ende des Diplomstudiengangs und der langen Tradition des Instituts.

Nicht nur die Politikwissenschaftler der FU müssen seit 1993 ordentlich bluten und bis 2003 voraussichtlich 63 Prozent ihrer Professoren abgeben: Insgesamt sollen die Geistes- und Sozialwissenschaften in der gleichen Zeitspanne 55 Prozent der Professorenstellen verlieren, deutlich mehr als die Naturwissenschaften, wie eine Statistik des OSI erläutert.

„Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats werden mit Sicherheit nicht in allen Bereichen so umgesetzt wie empfohlen“, versprach Gaehtgens, ohne sich weiter festzulegen.

Bei so viel positiven Aussagen wurde OSI-Professor Peter Grottian stutzig. Er sah ein bewusst herbeigeführtes Ungleichgewicht zugunsten der Naturwissenschaften. „Herrschaftskritische Wissenschaften werden in Berlin resterledigt“, schleuderte Grottian dem Präsidenten und dem Wissenschaftssenator erregt entgegen und drohte mit dem Streik von Hochschullehrern. Unterstützt wurde er von Katharina Lennert, einer Vertreterin der StudentInnen, die den vermeintlichen Sparzwang ins Reich der Legende verwies. „Hier wird ein Mittel zum Zweck gemacht: Das versteht man nicht unter Effizienz.“

Stölzl ging auf das von Grottian angesprochene Ungleichgewicht nicht näher ein, sprach jedoch von einem „Paradigmenwechsel von den Sozialwissenschaften hin zu den Naturwissenschaften“ seit den Sechzigerjahren und einer nun einsetzenden „Normalisierung“.

Wer sich dagegen wehre sei konservativ und halte „an Überkommenem fest“, verurteilte Präsident Gaehtgens die Einstellung der meisten StudentInnen im Publikum. Entscheidungen sollten sie bitte den „dafür zuständigen Gremien“ überlassen. Falls die sich an den Rat halten, wird sich Eberhard Sandschneider wohl nicht mehr über eine so „rattenscharfe“ Veranstaltung freuen dürfen. BERT SCHULZ

Heute um 10 Uhr beginnt in der FU-Mensa an der Silberlaube ein Aktionstag über die Zukunft der Berliner Unis