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Suppenfontänen und Heavy Metal

Fäkale Erniedrigung, Sex und Gewalt – die Filme des Japaners Takashi Miikes vollziehen eine irrwitzige Montage der japanischen Gesellschaft. Mit „Audition“ und „Dead or Alive“ kommen zwei seiner perversen Orgien bei uns ins Kino

von ANDREAS BUSCHE

Unter Fans des asiatischen Kinos gilt das Filmfest Rotterdam längst als kompetenteste Institution. Seit mittlerweile fast zehn Jahren spüren die Kuratoren der Asien-Sektion im japanischen, chinesischen und südkoreanischen Kino nach neuen Strömungen und Namen und genießen damit heute nicht nur für das Hamburger Filmfest und das Berliner Independent-Festival Berlin-BETA eine Vorbildfunktion.

Im letzten Jahr war in Rotterdam erstmals auch eine kleine Retrospektive des unbekannten japanischen Regisseurs Takashi Miike zu sehen, der in seiner Heimat gerade als kleine Sensation gehandelt wird, außerhalb aber bisher nur marginal wahrgenommen wurde. Miike ist in der Tat ein Phänomen: Innerhalb der letzten neun Jahre hat er es in Japan auf weit über dreißig Filme in den unterschiedlichsten Genres – Yakuzafilm, Softsex, Horror, Drama – gebracht. Er ist Schnell-/Billigfilmer und experimenteller Autor in einem und hat mit seinen kompromisslosen Visionen ein Kino der Unmöglichkeiten geschaffen, das nur den eigenen Regeln folgt.

Der kleine Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies – spezialisiert auf peripheres Kino aus Japan – bringt dieser Tage mit „Dead or Alive“ und „Audition“ zwei von Miikes stilistisch eigenwilligsten Filmen ins Kino, die zwei zentrale Aspekte seines vielseitigen Ouevres betonen: das Verkümmern des sozialen Gefüges in der japanischen Gesellschaft, einhergehend mit einem unfassbaren Aggressionspotenzial, das sich in Miike-Filmen eruptiv entlädt, und seine Rigorosität im Umgang mit filmischen und dramaturgischen Konventionen. Beides macht seine Arbeitsweise selbst im momentan unglaublich spannenden japanischen Kino einzigartig.

Die Eröffnungssequenz von „Dead or Alive“ zum Beispiel funktioniert abseits jeglicher narrativer Logik und Bestimmung nur noch über ein hysterisch komponiertes Stakkato aus Körpern, Bewegungen und japanischem Heavy Metal: pure Beschleunigung. An der Klimax dieses bizarren Kaleidoskops spritzt der Mageninhalt eines durchlöcherten Yakuzas – literweise Nudelsuppe – in hohem Bogen in die Kamera. Innerhalb von fünf Minuten hat Miike die Erwartungshaltung des Zuschauers an einen Yakuza-Film komplett über den Haufen geworfen und ihn angemessen auf sein Kino der Verstörung vorbereitet.

Miike vollzieht in fast allen seinen Filmen eine irrwitzige Demontage der japanischen Gesellschaft und zeichnet das zutiefst abstoßende Bild einer sozialen Bankrotterklärung. Die Bilder, die er für diesen Zustand der Selbstauflösung und Entwürdigung findet, sind von selten gesehener Plakativität und in dieser Form noch nie praktiziertem Ekel.

Zwischen expliziten Sexpraktiken, fäkaler Erniedrigung und exzessiver Verstümmelung lässt Miike in „Dead or Alive“ und „Audition“ dem Zuschauer nur wenig Rückzugsmöglichkeiten. Der Showdown von „Dead or Alive“ gipfelt in einem haarsträubenden Superheldenduell, an dessen Ende konsequent die nukleare Vernichtung Japans steht.

Für die fundamentalen Mängel in der zwischenmenschlichen Kommunikation und die daraus resultierende Soziopathie findet Miike mit seinem Meisterwerk „Audition“ eine eindrucksvolle Allegorie.

An der zarten Liebesgeschichte zwischen dem Geschäftsmann Aoyama und der zierlichen, verschüchterten Asami, von Miike in behutsamen, fast schon anstrengend langsamen Bildern erzählt, statuiert er ein ultrabrutales Exempel für das pervertierte Gesellschaftsmodell des spätkapitalistischen Sozialdarwinismus, der seine schwächsten Glieder vergewaltigt und schließlich abstößt. Bei Miike wird zurückgeschlagen. Wie fast alle Filme Miikes lebt auch „Audition“ von der Unberechenbarkeit seines Regisseurs.

In einem Interview erzählte Miike vor einigen Monaten, dass er unter der enormen Hitzeeinwirkung während der Dreharbeiten „Dead or Alive“ noch am Setting seine haarsträubende Wendung am Ende verpasst hat.

Auch in „Audition“ entzieht er dem Zuschauer in einem Strudel aus komplex verschachtelten Realitäts- und Wahrnehmungsfenstern den sicheren Boden unter den Füßen, wenn er nach etwa einer Stunde beginnt, verschiedene Versionen derselben Schlüsselszenen ins Spiel zu bringen. Miike ist aber nicht nur der radikalste Vertreter eines neuen japanischen Körperkinos. Seine handwerklich perfekten B-Movies haben immer auch den Blick des Sozialfilmers und versierten Psychologen. In Miikes Filmen wird Genrekino wieder lebendig.

Und am Ende steht dann ein Trost spendendes „Und irgendwann wirst du merken, dass das Leben einfach wunderbar ist“ im Raum. Natürlich wieder nur eine Finte.

„Audition“. Regie: Takashi Miike. Mit: Ryo Ishibashi, Eihe Shiina u.a., Japan 1999, 115 Min.„Dead or Alive“. Regie: Takashi Miike. Mit: Aikawa Show, Takeushi Riki u.a., Japan 1999,105 Min.

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