: Widersprüchlicher Libanon
betr.: „Tanz der Freiheit“ (der die das), taz.mag vom 20./21. 1. 01
[...] Der Artikel von Christina Förch ist ein hilfreicher (und notwendiger) Beitrag, dieses kleine, vielfältige, widersprüchliche und sehr eigenartige Land am östlichen Mittelmeerufer bei uns über die gängigen Vorurteile und Gemeinplätze hinaus bekannter zu machen. Das von der Autorin gezeichnete Bild der libanesischen Gesellschaft und der Lage der Homosexuellen in diesem Kontext bedarf jedoch einiger kritischer Anmerkungen und Ergänzungen:
Den Libanon als ein „vorwiegend islamisches Land“ zu beschreiben, greift genauso kurz wie die von manchen libanesischen Christen gerne vertretene Auffassung, der Libanon sei „eine christliche Insel im muslimischen Meer“. Denn der Libanon stellt sich nicht nur gern als multikonfessionell dar, er ist es. Von den siebzehn anerkannten Konfessionen stellen inzwischen die Angehörigen der drei islamischen Konfessionen zwar über die Hälfte der Bevölkerung, aber die Christen sind in ihrer Rolle nicht so gering einzuschätzen, dass von einem vorwiegend islamischen Land die Rede sein könnte oder gar die fehlende Akzeptanz von Homosexualität mit dem Islam erklärt werden könnte.
Auch ist der Libanon gewiss weltoffener, als hier suggeriert wurde; in einem ausgeprägten Auswanderungsland mit zirka 3,5 Millionen Inlandslibanesen und über 10 Millionen Libanesen, die im Ausland leben und oft genug zu Besuch zurückkehren, gibt es viele Familien mit direkten Auslandsverbindungen. Im Zusammenspiel mit dem vergleichsweise hohen Bildungsniveau, dem teilweise englisch- und französischsprachigen Schul- und Universitätssystem, den guten Fremdsprachenkenntnissen und den kriegsbedingten längeren Auslandsaufenthalten auch vieler junger Libanesen hat dies eine intensivere und durchaus auch (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit kulturellen und sozialen Phänomenen anderer Länder zur Folge, die durch die relativ freien (und freizügigen) Medien noch verstärkt wird. Damit ist der Libanon vielleicht weltoffener als manch europäisches Land.
Richtig ist, die Gesellschaft insgesamt als konservativ zu beschreiben. Das gilt für die ländlichen Gebiete (und insbesondere den wirtschaftlich unterentwickelten Süden) mehr als für den urbanen Großraum von Beirut sowie für die ärmeren Schichten mehr als für die wirtschaftlich Bessergestellten. Dieser Konservatismus findet sich bei Christen wie bei Muslimen. Und in der Tat spielt im Libanon die Familie eine Hauptrolle im sozialen Leben, was sowohl traditionell bedingt ist wie auch durch das weitgehende Fehlen eines staatlich organisierten sozialen Netzes. Ob man deswegen die negative Haltung gegenüber Homosexualität auf den Islam oder überhaupt eine spezifische Religion und ihr Familienkonzept zurückführen kann, ist sehr fragwürdig. Denn Homosexualität offen zu leben ist doch nicht nur in islamisch geprägten Ländern schwierig.
Im Übrigen machen Homosexuelle auch bei Tageslicht in den zentralen Shopping-Straßen von Beirut nicht unbedingt einen Hehl aus ihrer sexuellen Orientierung. In vielen Fällen ist sie also ein „offenes Geheimnis“ und wird in manchen mir bekannten Fällen auch im heterosexuellen Freundeskreis akzeptiert. Ich möchte die Schwierigkeiten, auf die Homosexuelle im Libanon stoßen, nicht beschönigen.
Man sollte jedoch auch sagen, dass sich das Problem der gesellschaftlichen Akzeptanz und der rechtlichen Lage nicht nur für Homosexuelle stellt, die sich in der Öffentlichkeit küssen oder Händchen halten. Je nachdem, wo man sich in Beirut gerade aufhält, ist dies auch für Heterosexuelle nicht zu empfehlen. Nach dem Gesetz dürfen auch heterosexuelle Pärchen – unverheiratete zumal – sich in der Öffentlichkeit nicht küssen. Dass dies in Pubs und Diskotheken trotzdem geschieht, zeigt die deutliche Diskrepanz zwischen der gelebten Praxis junger Libanesen und einer Rechtslage, die nicht nur – wie es der Artikel wirken lässt – Homosexuelle betrifft.
Der Ansatz der Autorin, das Problem auf den Islam zurückzuführen, zwingt sie offenbar auch, Mousbahs Publikum als „oft muslimisch geprägt“ zu beschreiben. Das „Amor y Libertad“ liegt jedoch in Kaslik, einer Stadt nördlich von Beirut, die überwiegend von Christen bewohnt wird. Hier gehen zwar auch junge Muslime aus, aber das Gros des Publikums in den zahlreichen Clubs dieses „Vergnügungsvororts“ von Beirut ist christlich. Wenn Mousbah bei seinem Publikum als „Kuriosum“ gilt, so wird es kaum an der islamischen Prägung liegen. In seiner Suche nach künstlerischer Anerkennung hat Mousbah es gewiss nicht leicht: In einer konservativen Gesellschaft ist er ja nicht nur als Homosexueller gebrandmarkt, sondern auch als Bauchtänzer (wie auch professionelle Tänzerinnen nicht unbedingt einen guten Ruf genießen). Hinzu kommt ironischerweise, dass seine Show nach zwei Jahren in Beirut – wo die Nightlife-Szene gar nicht so konservativ, sondern immer auf der Suche nach dem Neuesten ist – schon bald als alter Hut gelten könnte. Den Wünschen für Mousbah und den Libanon, die Christina Förch abschließend äußert, kann ich mich nur anschließen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass unsere Wahrnehmung der libanesischen Gesellschaft (wie auch anderer Gesellschaften im Nahen Osten) etwas differenzierter ausfällt und der tatsächlichen Situation gerechter wird. Religion ist ein beliebtes Argument, im Falle des Islam noch mehr. Das gilt für den politischen und sozialen Diskurs im Libanon in trauriger Weise, aber auch für unsere Wahrnehmung des Nahen Ostens. Leider verstellt sie oft den Blick. RALPH BODENSTEIN, Berlin
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