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Hausmeister an Rotweinsauce

■ Sehr appetitlich: Im Schlachthof servierte das „Theater bizarr“ das bizarre kannibalische Stück „Delicatessen“

Den eigenen Artgenossen verspeist man gemeinhin nicht so gerne. Vieles spricht dagegen, wovon die Tiermehl-gefüllten Rindviecher unserer Tage gar ein trauriges Lied singen könnten. Zwar haben wir alle unsere Liebsten zum Fressen gern, aber wenn's darauf ankäme, wollte wohl niemand so genau beim Wort genommen werden.

Aber imaginieren wir uns doch eine Welt, in der es darauf ankäme. Draußen alles verseucht, Müllers Mühle dreht sich längst nicht mehr und der tapfere Käpt'n Iglo ist auf der aussichtslosen Suche nach dem letzten Fischstäbchen auf den großen Weltmeeren verschütt gegangen. Im Schlachthof verschalen erwartungsfroh Bierchen im grellen Scheinwerferlicht, KettenraucherInnen gehen ihren Verpflichtungen nach, ein Akkordeon französelt vor sich hin, und wir sitzen an Bistrotischen auf der Bühne, weil auf unseren angestammten Sitzplätzen in der Kesselhalle ein Mietshaus eingezogen ist.

Alle 14 Tage gibt's hier Menschenfleisch für alle, zerlegt vom Schlachter (Nils Roßow), geliefert vom Kellner (Till Bleckwedel) und Überlebensgarantie für ein Grüppchen mehr oder weniger Verzweifelter, die der Brechtschen Einsicht, dass erst das Fressen und dann die Moral komme, eine ganz eigene Note verleihen. Im Hausflur droht man schon mal damit, sich zu Geschnetzeltem zu verarbeiten, bei Mieterversammlungen träumt mancher laut von „Hausmeister an Rotweinsauce“-Rezepten und spätestens nach vierzehn Tagen blickt Robert (Lorenz Marold), der Bewohner von ganz oben, in seinen Kalender und sagt: „Einer muss raus, das sind die Regeln.“

„Delicatessen“ ist das Theaterstück zum gleichnamigen Film, mit dem Anfang der 90er Jahre das Regieduo Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro ein preisgekröntes Erstlingswerk in die Kinos brachte. Der surreal-morbiden Stimmung des Films kommt das „Theater bizarr“ unter der Regie von Roland Huhs trotz spartanischer Ausstattung erstaunlich nahe. Ein paar Taue, von denen es ständig in Gefäße tropft, und eine Ansammlung gut gefüllter Einmachgläser genügen schon, um die Bühne in einen Ort zu verwandeln, den man lieber aus der Ferne betrachtet. Zwischen bruzelnden Gaskochern und kalt glänzendem Fleischerhaken entfaltet sich die tragikomische Geschichte um eine Liebe in den Zeiten des erzwungenen Kannibalismus. Dass das potenzielle Opfer Lyson (Mario Hasselmann) und die Schlachterschwester Julie (Ursula Da Silva) einander verfallen, bringt die grausame Hausordnung durcheinander und zwingt die BewohnerInnen dazu, sich der Absurdidät ihres Daseins zu stellen. Weiter Fressen oder an der Moral zugrunde gehen heißen die Alternativen, die keine sind und denen jede Figur anders zu entfliehen sucht.

Den durchweg ausgezeichneten DarstellerInnen gelingt es dabei, die schwierige Balance zwischen makabrem Witz und bodenloser Abgründigkeit zu halten. Selbst hinter den ordinären verbalen Ausbrüchen von Gigi (Wiebke Müller) blitzt immer wieder verletzte Verzweiflung auf, während die Suche der permanent todessehnsüchtigen Auren (Nelly Pietrzyk) nach dem erlösenden Henker durchaus amüsante Züge aufweist. Am Ende siegt wie in jeder Romanze die Liebe, die ZuschauerInnen bekommen Hackröllchen am Spieß serviert und auf der Bühne fehlt plötzlich der TV-Junkie (Claudia Rathjen) – der Schlachter hat doch noch ganze Arbeit geleistet. Julie aber flieht hinaus in die kontaminierte Welt. Ob's da besser ist?

Im Film kämpfen immerhin noch terroristische Underground-Vegetarier für eine bessere Welt. Nur Rindviecher würden einem später vorwerfen, man habe damals ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt gehabt. Aber Rindviecher sterben niemals aus. zott

Weitere Aufführungen: 7.-9. Februar, 20.30 Uhr, Schlachthof

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