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Sei ein Sack!

Heute Abend im Tacheles: Beim australischen Musiker Louis Tillett hört sich selbst die Verzweiflung echt gut an

Wenn es sich jemals gut anhörte, ein fetter, alter, hässlicher Sack zu sein, dann bei Louis Tillett. Sein Klavierspiel, die endlos perlenden Kaskaden scheinen getrieben von einer Mischung aus unterdrückter Wut und dem leicht verzweifelten Wissen um die Vergänglichkeit. Seine Stimme kommt aus den tiefsten Tiefen einer Kehle, die manche Flasche Hochprozentiges den Weg nach unten hat antreten sehen. Sein gedehnter Gesang lässt sich Zeit, hat keine Eile, schließlich muss man wissen, wann es sich lohnt, zu singen. Dann aber, dann singt diese Stimme mit einer Weisheit, die nur entstehen kann, wenn man sich selbst beim Vergehen betrachtet.

Sein gerade erschienenes neues und fünftes Album heißt gewohnt pathetisch „Learning To Die“, aber wer den Australier einmal gesehen hat, weiß wohl, dass er sich mit diesem Gedanken schon mal beschäftigen hat müssen. Aus einem aufgedunsenen Gesicht blicken einen traurig dunkle Augen an. Alkoholsucht und Aufenthalte in der Psychiatrie haben dieses Gesicht gezeichnet und bilden den Rhythmus einer altmodischen Künstlerbiografie, die ohne das herzlich aus der Mode gekommene Konzept Authentizität nicht auskommt.

So ist es natürlich der gute alte Blues, der hier noch einmal gespielt wird, wenn auch nicht im klassischen Zwölftaktschema. Wie andere Australier vor ihm, vor allem Birthday Party und später die Beasts of Bourbon, für die Tillett auch schon in die Tasten griff, verschafft unser alter Mann dem Blues eine neue Dimension. Tillett hat in seiner Jugend klassisches Klavier studiert, dann kam der Jazz und erst sehr viel später der Rock. All das kann man hören, wenn das Klavier sich zu endlosen Exkursionen aufmacht, verliebt um sich selbst kreist, schließlich ein verloren trötendes Saxofon einsetzt und sich dann langsam so etwas wie ein Song schält.

Dabei sind es nie die Songs, die haften bleiben. Zwar schreibt Tillett epische Melodien mit großer Geste, aber die Lieder wirken oft austauschbar. Selbst wenn er wie auf der neuen Platte mit „The Ballad of Hollis Brown“ einen Song von Bob Dylan covert, fügt sich der klaglos ins Tillett’sche Universum ein. Was bleibt, ist die Stimmung, die Atmosphäre. Aus einem scheinbar ziellosen Geklimper erwächst eine nervöse, paranoide Spannung, die Tillett viel zu lange hält, als dass es einem Popsong gut tun würde. Seine Songs sind weniger Lieder als Meditationen, deren Thema – dazu muss man keine Texte verstehen – die Brüchigkeiten und Verzweiflungen des Daseins zu sein scheinen. Es ist Musik, die an einer einsamen Bar entstanden scheint, mit dem bisweilen nervigen Lamento eines angetrunkenen Gastes und dem Klirren der Gläser. Dann kommt dieser Moment, in dem man die ganze Weite, unendliche Traurigkeit und grauenhafte Ausweglosigkeit dieser Verlorenheit spürt. Dann macht Louis Tillett Musik. Und sie klingt sehr schön, sehr traurig. Wie die Weite, wie die Unendlichkeit. THOMAS WINKLER

Heute, 29. 1. ab 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Str. 54–56

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