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Scheu vor Einbahnstraßen

Nachdem Andre Agassi gegen die charmante Turnier-Entdeckung Arnaud Clément zum dritten Mal die Australian Open gewonnen hat, will er das Jahr schlauer angehen als nach seinen Siegen zuvor

aus Melbourne DORIS HENKEL

Der eine war unbestritten der Star auf dem Platz, der andere gewann die Punkte später am Mikrofon. Andre Agassi gab mächtig Gas am Sonntag im Finale der Australian Open gegen den Franzosen Arnaud Clément (6:4, 6:2, 6:2). Dieser Sieg brachte ihm den dritten Titel in Melbourne, den insgesamt siebten bei einem Grand-Slam-Turnier, doch es ist der erste in all den Jahren, den er verteidigt hat. Mit dieser Sammlung ist er Lichtjahre vom Debütanten Clément entfernt, doch das Volk liebt bekanntlich die Verlierer meist ein kleines bisschen mehr.

Wäre der Gegner Pete Sampras gewesen oder sonst einer der Stars – Agassi hätte nicht motivierter sein können; es war ein nicht zu übersehendes Kompliment für den Gegner und dessen Auftritte in den vergangenen zwei Wochen. Arnaud Clément hat in dieser Zeit eine Menge fürs Tennis getan mit seiner Bereitschaft, zu rennen bis zum letzten rosa Hemd, mit einer Leidenschaft, die gute Laune macht, und mit seiner unverwechselbar südfranzösischen Art. Wie immer musste der Besiegte als Erster aufs Podium zur Siegerzeremonie, er entschuldigte sich für sein schwaches Englisch, erklärte, deshalb habe er seine Rede zu Papier gebracht, zog zwei große Zettel aus der Tasche und las vor. Clément ließ Sätze aus, fügte andere hinzu, wechselte zwischendurch mal wieder ins Französische, jonglierte mit Nettigkeiten und versprühte unverbrauchten Charme.

Monsieur, der Mann mit den schnellsten Beinen und den schönsten Bandanas, war die Entdeckung des Turniers, doch das war Andre Agassi in gewisser Weise auch. Nicht so sehr in der Art, wie er spielte; die ist seit langem bekannt. Doch wenn er versichert, er werde diesmal schlauer sein als vor einem Jahr, dann lässt das darauf schließen, was er noch vorhat. Für den Stress der ersten Wochen musste er 2000 mit einem vergleichsweise bescheidenen Rest der Saison büßen, und das will er diesmal vermeiden. Vor einem Jahr flog er von Melbourne nach Afrika, um dort mit gegen die Jungs aus Simbabwe in der ersten Runde des Davis Cups zu spielen. Von diesem Wettbewerb hat er sich inzwischen verabschiedet, und so kam seine Antwort auf die Frage, ob er nach dem Sieg ein anderes Gefühl habe als vor einem Jahr, kurz und klar: „Es geht mir besser, weil ich diesmal nach Hause fliege anstatt nach Simbabwe.“

Wie gut es ihm geht, das ist nicht zu übersehen. Fast wäre er nach dem Matchball vor Freude gehüpft wie Jennifer Capriati am Tag vorher, und es war nicht schwer, all die Zeichen zu deuten, mit denen er den Freunden und der Freundin auf der Tribüne verdeutlichte, wie glücklich und zufrieden er war. Doch in einer Hinsicht enttäuschte er wieder mal alle. In der Dankesrede kamen Gil Reyes und Brad Gilbert vor, desgleichen die Lieben zuhause, aber nicht Steffi Graf. Begründung an die Adresse dre Journalisten: „Weil ich weiß, dass Leute wie ihr dann nur darüber schreibt.“

Inzwischen 30 Jahre alt, versichert Andre Agassi, dass es weitergehen soll. Die Rückzugspläne des Kollegen Pat Rafter kann er verstehen, er selbst hat offensichtlich noch lange nicht genug. Er ist frisch wie ein Jährling, und Gil Reyes, der gleichermaßen Freund ist und Fitness-Coach, wird nicht müde zu betonen, Agassi sei in besserer Form als jemals zuvor und das könne durchaus noch ein paar Jahre so bleiben.

Denn im Gegensatz zu manchen anderen hat sich Andre Agassi im Laufe der langen, höchst wechselvollen Jahre immer wieder eine Auszeit gegönnt, und davon profitiert er nun im fortgeschrittenen Alter. Er beschreibt es so: „Meine Karriere ist keine Einbahnstraße gewesen. Vielleicht habe ich früher manche Chance nicht genutzt, aber auf lange Sicht hilft mir das jetzt. Ich bin mit 30 frischer, als ich es wäre, wenn ich mich früher Woche für Woche, Jahr für Jahr nur mit Tennis beschäftigt hätte.“

Ja, wer will das schon? Woche für Woche nur Tennis? Was das betrifft, ist Andre Agassi ein ganz normaler Mensch mit einer guten Portion Lust aufs Leben. Doch nimmt man sein Spiel und das, was er kann, ist er immer noch und immer wieder ein ganz besonderer Mann.

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