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Mir san ohne Radl da

In München hat sich’s ausgebiket: Das Mobilitätsmodell Call a Bike ist pleite. Trotzdem könnte es bald weitergehen. Dann aber etwas anders

Die Geschäftsidee ist so einfach wie zukunftsweisend: Die Münchener Innenstadt wurde im letzten Jahr flächendeckend mit auffällig designten Fahrrädern ausgestattet, die jeweils in der Nähe einer Telefonzelle angekettet sind. Die Räder können ausgeliehen werden, indem der Interessent in der Zentrale anruft, woraufhin das elektronische Schloss freigeschaltet wird. Dazu benötigt man lediglich eine Kundennummer und die Nummer des Fahrrades. Ist das Schloss entriegelt, springt ein Zählwerk an, das neben einer Grundgebühr pro gefahrener Minute ein paar Pfennig auf das Kundenkonto bucht. Die Leihgebühr wird dann vom Konto eingezogen. Das Rad schließt der Fahrer am Ende der Fahrt einfach wieder in der Nähe einer Telefonzelle an und meldet sich ab. „Call a Bike“ nennt man das.

Demnächst jedoch könnte München um diese Attraktion ärmer sein: Wenn alles schief geht, verschwinden die jederzeit abrufbaren Mietfahrräder aus dem Stadtbild der bayerischen Landeshauptstadt. Die Call a Bike Mobilitätssysteme AG hat im November wegen Zahlungsunfähigkeit beim Amtsgericht Insolvenzantrag gestellt. „Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Januar eröffnet“, bestätigte der zum Insolvenzverwalter bestellte Anwalt Wolfgang Ott.

Der „unternehmerische Fehlstart“, so Ott, hatte mehrere Gründe, wie die Unternehmensanalyse ergab. Vorstand Christian Hogl nennt auf Anfrage vor allem, dass die Firma „mit einer viel zu geringen Geldreserve ausgestattet“ gewesen sei. „Fehler waren also nicht erlaubt.“ Und genau die gab es. So habe sich der Umsatz ab August/September „unter Plan entwickelt“, wofür Hogl drei Faktoren nennt: Statt der veranschlagten 43.000 Kunden habe man 35.000 verzeichnet; der Nettoumsatz pro Fahrt habe bei 4,20 Mark statt geplanten 5,50 Mark gelegen, und schließlich machte jeder Kunde nur 0,8 statt 2,1 Fahrten im Monat. Der Umsatz betrug letztlich nur 100.000 Mark, veranschlagt waren 400.000.

Auf Grund der „extrem knappen Liquidität“, so Hogl, war schließlich selbst fürs Marketing kein Geld mehr da. „Ab dem 7.000sten Kunden konnten Neu-Kunden nicht mal mehr angeschrieben werde.“ Denen aber fehlten dann detaillierte Informationen über das genaue Prozedere des Ausleihens. Und wer nicht weiß, wie es funktioniert, fährt eben auch nicht. Zwar plante die AG gegen Jahresende eine weitere Kapitalerhöhung – doch die Hausbank habe dann einen notwendigen Überbrückungskredit mangels „umfangreicher Konzepte zur Neustrukturierung“ (Hogl) in Höhe von einer halben Million Mark verweigert. Der Vorstand: „Wir waren komplett unter Wasser.“

Insolvenzverwalter Ott ergänzt die Liste der Fehler mit weiteren. Unter anderem sei die Logistik „zu breit angelegt“ gewesen, was zu einer „nicht mehr kontrollierbaren Streuung der Fahrräder im Großraum München führte“, woraus wiederum ein „erheblicher Rückführungsaufwand“ entstand. Zudem sei das Entleihverfahren „aus Kundensicht technisch zu schwierig“ gewesen, was zu „unnötigen telefonischen Rückfragen führte“. Das alles ergab „überdimensionalen Kosten“, während gleichzeitig der geplante Umsatz ausblieb.

Das Unternehmen sei jetzt, meint Hogl, „in stabiler Seitenlage“. Auf die Zukunft angesprochen zeigt er Zurückhaltung: Formal sei er bei relevanten Entscheidungen nicht mehr Vertreter der Firma. Alles Weitere liege in den Händen des Insolvenzverwalters. Der indes scheint neuen Ideen gegenüber durchaus nicht abgeneigt. Die negativen Erfahrungen, so teilt Wolfgang Ott mit, änderten „nichts an der Originalität“ des Vorhabens. Man versuche derzeit, die Erfahrungen auszuwerten, Schwachstellen zu beseitigen und „ein Modell zu entwickeln, das in der Anfangsphase zumindest Kostendeckung verspricht“. Es gelte, neue Investoren zu finden, um „im Frühjahr wieder und mit besserem Erfolg an den Start gehen zu können“. Christian Hogl jedenfalls hat trotz der Pleite Lust, weiterzumachen – zumal das Patent für die elektronischen Schlüssel bei ihm liege. Aber, so Hogl: „Es ist schwieriger, damit Geld zu verdienen, als wir dachten.“ Der Branchendienst Öko-Invest übrigens fand in der Startphase das Geschäftsmodell „zwar ökologisch interessant“, hatte die Aktien aber „angesichts der hohen Risiken nicht zum Kauf“ empfohlen. ANDREAS LOHSE

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