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Modische Monologe

Ist „Tristesse Royale“ abendfüllend? Das Junge Theater Göttingen macht sich mit Bühnenfassungen der neuen deutschen Popliteratur interessant

Statt im schicken Berliner Hotel Adlon hängen die gelangweilten Spätjugendlichen auf einer Hänsel-und-Gretel-Waldlichtung sehr undramatisch ab

Wenn amüsierwillige Münchner, Frankfurter und Berliner sich in einer altmodischen Universitätsstadt treffen, in der die touristischen Höhepunkte die Konditorei „Cron und Lanz“ und der „Vier-Kirchen-Blick“ in der Fußgängerzone sind, was machen sie da? Sie machen auf Kultur. Das Junge Theater Göttingen unter der Intendanz des 35-jährigen Werner Feig – der zur nächsten Spielzeit als Dramaturg ans Schauspiel Hannover wechselt – ist hoch in Kurs.

Feig hat etwas, wovon andere Theatermacher träumen: Junge, präsentable Autoren aus der Popliteraten- und Journalistenecke schreiben für ihn Stücke, in denen es um Party, Freundschaft und Oberflächen geht. Den etwas abgeklungenen Hype um die jungen britischen Dramatiker kann Feig damit an Hipness übertreffen, und er beschert dem von den Stadträten wenig geliebten Jungen Theater ein volles Haus. Und Theater aus Göttingen überregionale Aufmerksamkeit.

Das erfolgreichste Stück dieser Spielzeit war Moritz von Uslars „Freunde“, ein Beispiel für das „neue Pathos“, von dem der Intendant gern redet. Gefühle und Alltagswirklichkeit der etwa Dreißigjährigen werden hier locker dramatisiert, um die junge Generation ins Theater zu locken. Am Freitag erlebte das Junge Theater nun den vorläufigen Höhepunkt des selbst inszenierten Kults: die Uraufführung von „Tristesse Royale“, dem viel diskutierten Gesprächsprotokoll der schreibenden Jetset-Clique aus Benjamin von Stuckrad-Barre, Joachim Bessing, Eckhard Nickel, Alexander von Schönburg und Christian Kracht. Bessing, Herausgeber des 1999 erschienenen Buchs, besorgte Dramatisierung und Regie.

In der Bühnenfassung ist der zynische Elitarismus der Vorlage deutlich gemildert. Die altklugen Aussagen der Twenty-/Thirtysomethings werden nicht von real existierenden Popliteraten formuliert, sondern von Figuren, die „Barbara“, „Schnorchel“ und „Duke of Earl“ heißen. Ihre Anzüge sind nicht von Prada, sondern vom Wiener Avantgarde-Label Wendy & Jim entworfen. Statt des schicken Berliner Hotels Adlon hat Maren Leverentz den gelangweilten Spätjugendlichen eine Hänsel-und-Gretel-Waldlichtung zum Abhängen auf die Bühne gebaut.

Trinken und Rauchen sind die vorherrschenden Aktionen. Ansonsten wird über Ästhetizismen, do’s und dont’s schwadroniert, meistens monologisch. Die vorherrschende Langeweile soll natürlich existenziell sein: Man langweilt sich, weil schon lange klar ist, dass das Leben keinen Sinn hat und Menschen sich nicht wirklich nahe kommen können. Tontaubenschießen, Geschlechtsverirrungen oder S/M bringen da auch nichts mehr.

Ähnlich wie beim Buch hat Bessing bei der Dramatisierung darauf vertraut, dass ein Subtext entsteht, der Kritik transportiert: „Ich habe gedacht, automatisch entsteht aus dem Text, wenn man sich das anhört, 200 Seiten lang, so 'n Gerede, dass man automatisch merkt, woran es da fehlt.“ Außer dem Gerede hört man aber leider nichts. Selbst wenn Dorle Maravilla – benannt nach der gleichnamigen Ullstein-Lektorin – auf der Metaebene ins Spiel kommt und dem Publikum vom Entstehungsprozess und der Kritik am Buch berichtet. Ebenso vergeblich warten die Zuschauer auf eine theatergemäße Umsetzung. Stattdessen: Statik, Monologe, keine Entwicklung.

Da kann man es gleich so machen wie am Tag nach der Uraufführung geschehen: Unter dem Titel „Let it Rock II“ fand eine Mammutlesung mit 16 Autoren statt, darunter Georg M. Oswald, Alexa Hennig von Lange, Ingo Niermann und Rebecca Casati. Höhepunkt des Abends aber war die gemeinsame Performance von Moritz von Uslar und Rainald Goetz. Sie lieferten ein Frage-und-Antwort-Spiel zum neuen In-Thema „Freundschaft“. Das versteht man in Göttingen.

STEPHANIE WURSTER

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