: Fischer und die Flugis
■ Die Bundeswehr feiert ihren Jahresempfang mit Sekt und Saft, die Pusdorfer Friedensgruppe ihr Zehnjähriges
Gestern in der Oberen Rathaushalle: Bürgerschaftspräsident Chris tian Weber steigt auf das Podium und sagt: „Ich habe gedient!“ Zwar nur als Gefreiter, aber immerhin. Das kommt gut an beim Jahresempfang der Bundeswehr und der Wehrbereichsverwaltung in Bremen, zu dem gestern zahlreiche Repräsentanten der Stadt ins Rathaus geströmt waren. Auch wenn es mit humorvollem Unterton gesagt wird. Gleich danach bekennt sich Weber zur Wehrpflicht; eine Rige älterer Damen reißt es beinahe von den Sitzen. Applaus. Dann darf das Heeresmusikkorps I aus Hannover, das die illustre Veranstaltung mit dem Truppenmarsch VBK 20 eröffnet hatte, wieder ran. Motto des Tages: Dienstanzug statt Flecktarn, dazu ein Sekt.
Joachim Fischer von der Friedensinitiative Pusdorf hat von alledem nichts mitbekommen. Der Mann mit der schottischen Bommelmütze stand wieder einmal mit seinen „Flugis“ – das sind Flugblätter – in der Kälte, ein Plakat vor dem Bauch („Soldatinnen sind so überflüssig wie Soldaten“) und hat gegen Krieg & Rüstungsindustrie gearbeitet. „Ich glaube, wir waren sogar fünf“, sagt er hinterher im warmen Café.
Vor zehn Jahren, als Fischer gemeinsam mit Maren Meinertz die Gruppe gründete, war das noch ganz anders: Die irakische Invasion in Kuwait hatte die Menschen alarmiert und auf die Straße getrieben. Am Roland gab es eine tägliche Mahnwache, an der zehn, zwanzig, dreißig Menschen teilnahmen. Doch auch nach dem Krieg, als sich viele Friedensaktivisten resigniert zurückzogen, wollte der damals Dreißigjährige weiter aktiv bleiben. Also gründete man die Gruppe, die sich bis heute mit Mahnwachen, Plakataktionen und einer ordentlichen Zahl von Leserbriefen an die Öffentlichkeit zu wenden versucht – unterstützt von Symphatisanten. Gruppe? „Bei der Bahn gab's auch mal eine Minigruppe“, sagt der unverzagte Fischer, der auch als Künstler schafft. Der 40-jährige Chemiker ist einer, der sich gern viel vornimmt: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung beispielsweise, die er als Endzwanziger für sich entdeckte. Das war in der Zeit nach seiner Bekehrung, wie er das heute nennt. Fischer las in der Bibel, fühlte „religiöse Begeisterung“ und änderte sein Leben. Den deutlichsten äußerlichen Niederschlag fand dies in der radikalen Gewichtsabnahme des 100-Kilo-Mannes, die darauf folgte. Doch der Wandel hatte auch politische Folgen: Der Wolmershausener entschied sich, fortan den Aspekt Frieden verstärkt zu beackern, und das aus „Gewissensgründen“.
Heute wirkt Fischer wie einer, dem die Ideen selbst wichtiger sind als die Art, wie sie verpackt sind. Ohne großes Aufheben zu machen, stellt er sich mit seinen selbst gebastelten, selbst gemalten, selbst getragenen Transparenten in die Öffentlichkeit, macht sich angreifbar, für manche vieleicht sogar zur komischen Figur. Und muss mit dem Unverständnis seiner Umwelt rechnen: Für viele sei doch der Personalabbau in der Bundeswehr schon Abrüstung. Dabei sei es doch nur „Umrüstung“, was heute geschehe, kapitalistische Rationalisierung, Kriegshandwerk wie ehedem.
Merkwürdigerweise hätte der Mann aus Pusdorf beinahe selbst fast einmal zu der Truppe gehört, der er jetzt mit friedlichen Mitteln und sendungsbewusster Penetranz ans Zeug will. Als junger Mann habe er sich als Zeitsoldat verpflichten wollen, sei aber wegen seines Gewichts ausgemustert worden. Den eigentlichen Kick, sich vom unpolitischen jungen Mann zum aktiven Pazifisten zu wandeln, gab ihm später der Golfkrieg: „Ich hatte einfach Angst, dass die Erde zu Grunde geht“, sagt er. Dass danach weltweit noch diverse Kriege kamen, sei natürlich deprimierend, sagt er. „Doch aufhören tunwir erst, wenn Weltfrieden ist.“ hase
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