: Scharfe Kritik an Fußfessel
Gefängnisinsasse ist weiter angebunden. Strafverteidiger-Vereinigung und Chef des Maßregelvollzugs beklagen „menschenunwürdige Behandlung“. Kritik an Diepgen
Mit Empörung und Unverständnis haben die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger und der Chefarzt des Maßregelvollzugs gestern darauf reagiert, dass ein Insasse der Haftanstalt Tegel seit Wochen an einer Laufleine in seiner Zelle festgebunden ist. „Das ist Sklavenhalterei in schlimmster Form“, sagt der Vorsitzende der Strafverteidiger-Vereinigung, Rüdiger Portius. „Das ist das Ergebnis, wenn der Justizsenator gleichzeitig Regierender Bürgermeister ist und sich nicht um das Justizsressort kümmert.“ Auch für den Chefarzt des Maßregelvollzugs, Ulrich Giese, steht fest: „Das ist menschenunwürdig. In so einem Fall muss man andere Lösungen suchen.“
Die Situation des 46-jährigen Strafgefangenen aus Somalia war auch gestern unverändert. Der wegen Betrugs verurteilte Mann ist seit dem 15. Dezember mit einem Lederriemen am Fuß an ein in den Zellenboden eingelassenes Betonbett gefesselt. Die Fixierung soll den Gefangenen daran hindern, an der Zellentür Krach zu schlagen. Nach Angaben der Justizverwaltung, die sich auf ein psychiatrisches Gutachten beruft, handelt es sich bei dem Mann um einen „fanatischen Vollzugsstörer“, der „in unerträglicher Weise“ für die anderen Insassen die Ruhe der Anstalt störe. Der Somalier verbüßt eine zehnmonatige Haftstrafe, Strafende ist im August.
„Es gibt keine chronischen Vollzugsstörer“, steht für Portius fest. Das Problem sei, dass es in den Haftanstalten aufgrund der Stellenpolitik immer weniger ausgebildete Sozialarbeiter und Psychologen gebe, die im Stande seien, mit den Gefangenen zu reden. Auch für den Chef des Maßregelvollzugs Giese ist klar: „Man kann nicht jeden, der stört, fesseln.“ So etwas sei vielleicht für ein paar Stunden aus Sicherheitsgründen möglich, aber nicht tage-, geschweige denn wochenlang. „Man muss die Ursachen für sein Fehlverhalten finden, um dieses auf andere Art und Weise ausräumen zu können“, so Giese. Dafür müsse der Gefangene aber einem Arzt und Psychiater vorgestellt werden.
Die Erkenntnis, dass der Somalier erneut psychiatrisch begutachtet werden muss, hat sich inzwischen auch bei der Justizverwaltung durchgesetzt. Allerdings erst, nachdem die Tegeler Insassenvertretung am vergangenen Donnerstag die Medien über den Fall informiert hat. Im Zusammenhang mit der erneuten psychiatrischen Begutachtung hat die Anstaltsleitung bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung des Somaliers gestellt. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, vermochte Justizsprecher Sascha Daue gestern nicht zu sagen. Bis dahin bleibe der Mann gefesselt, es sei denn, er verspreche bei der täglichen morgendlichen Befragung, nicht mehr zu lärmen. Dies sei auch gestern nicht der Fall gewesen.
Um sich nicht dem Ruch auszusetzten, man versuche etwas zu vertuschen, hat die Justizverwaltung am vergangenen Freitag die Menschenrechtsorganisationen amnesty international, die Humanistische Union und die Liga für Menschenrechte eingeladen, sich ein Bild von der Situation des Häftlings zu machen.
PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen