: Big Brother auf Japanisch
■ Wochenlang lebten und arbeiteten junge KünstlerInnen aus Bremen und Kyoto in Japan auf engstem Raum zusammen. Jetzt kommen die JapanerInnen zu Gegenbesuch
Karsten Joosts Beitrag zum Kulturaustausch wog 30 Kilogramm und war eine Stahlkonstruktion. Am Zielort seiner Reise, der japanischen Großstadt Kyoto, wollte der bei Yuji Takeoka an der Bremer Hochschule für Künste studierende Mittdreißiger die Konstruktion zu einem Kunstwerk veredeln. Doch am Zielort selbst erledigten sich seine Pläne. Er ergriff lieber die Flucht. Sozusagen.
„Viele Klischees über Japan stimmen“, sagt er und meint: die Enge oder Verdichtung der Städte, das Fehlen oder die völlig andere Form von Privatsphäre. Als Karsten Joost diese Erfahrung machte, war er einer von zwölf Bremer StudentInnen, die im Herbst vergangenen Jahres für vier Wochen nach Kyoto reisten, um dort gemeinsam mit japanischen KommilitonInnen eine Ausstellung zu erarbeiten. „Boomerang Art Project“ heißt die von dem gebürtigen Japaner und – wie so viele seiner nach Deutschland verschlagenen Landsleute – in Düsseldorf lebenden Takeoka initiierte Veranstaltung. Boomerang heißt sie auch deshalb, weil es einen Gegenbesuch gibt: In den nächsten Tagen kommen elf junge KünstlerInnen aus Japan nach Bremen, um eine Ausstellung zu konzipieren und – ihre Deutschland-Klischees an der Wirklichkeit zu überprüfen.
Während sich die TeilnehmerInnen für die Bremer Boomerang-Hälfte auf mehrere Häuser verteilen, fand bei Boomerang-Kyoto das Arbeiten, Wohnen und Schlafen an einem Ort statt. „Das ist wie Big Brother“, haben einige deutsche TeilnehmerInnen gesagt, als sie die zwei Ausstellungs- und Wohnräume in einer zum Kulturzentrum umgebauten ehemaligen Batikmanufaktur gesehen haben. Zumal es immer weniger Platz gab, weil einer der beiden Räume bald mit Kunstwerken voll stand. Einigen Individualisten aus Deutschland wurde das zu eng, und so bauten sie im Garten ihr Zelt auf.
Im Gegensatz zu den kulturellen Unterschieden sind die künstlerischen minimal. „In der Bildsprache gibt es große Ähnlichkeiten“, weiß Yuji Takeoka. Joost und seiner Kommilitonin Sonja Meyer fällt höchstens das Wort „poetischer“ ein, um die Konzepte der JapanerInnen von ihren eigenen zu unterscheiden. Merke: Es gibt längst eine Weltkunst oder eine künstlerische Weltsprache. So ließen die 23 jungen KünstlerInnen, die sich allenfalls auf Englisch verständigen konnten, nach zweiwöchiger Vorbereitung eine Ausstellung mit Installationen, Fotos und anderen Konzepten heran wachsen. Und so wird es auch beim Gegenbesuch bis zur Eröffnung in Bremen Anfang März geschehen.
Wenn man aber Sonja Meyer und Karsten Joost zuhört, tritt die Kunst in den Hintergrund und wird schnell das Alltägliche zum Thema. Das Einkaufen im Supermarkt zum Beispiel, das ohne ortskundige Hilfe kaum zu erledigen ist. In Japan half eine Gruppe von Volunteers – das sind ehrenamtliche, meist studentischen PraktikantInnen – bei der Unterscheidung von Quark und Milch, beim Einkaufen von Material und beim Übersetzen von Fahrplänen. Besonders darauf hat Joost zurückgegriffen.
Denn statt an seiner Stahlkonstruktion hat er in Kyoto mit seiner Kamera gearbeitet. Damit ist er an die Peripherie von Kyoto gefahren – dorthin, wo die verdichtete Stadt aufhört und ziemlich abrupt Natur anfängt, weil er das für bemerkenswert hielt. Wenn sich also demnächst junge JapanerInnen in der zersiedelten Landschaft zwischen Bremen-Habenhausen und Stuhr-Fahrenhorst aufhalten sollten, gibt es keinen Grund zur Verwunderung. Diese Zersiedlung gilt anderswo als etwas Besonderes. ck
Die elf japanischen Kunst-StudentInnen kommen Mitte Februar nach Bremen. Die Ausstellung wird unter dem Titel „Saw You“ am 9.3. in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst und im Künstlerhaus am Deich eröffnet. Zur Betreuung werden noch HelferInnen gesucht. Kontakt unter Tel.: 32 34 83. Info im Internet unter www.boomerang-art-project.de
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