: Der Medienguerillero
Stefan Wirner setzt seine Textcollagen aus geklauten Zitaten zusammen: „Installation Sieg“ liest den Kosovokrieg gegen den Strich – und „Berlin Hardcore“ ist ein früher Nachruf auf die Schröder-Jahre
von ANDREAS BUSCHE
Interessante Frage: Welche Zeitungen hat so ein Mensch wohl im Abo, der eine geradezu exzessive Form des „Mediawatch“ betreibt? Der täglich mindestens drei Zeitungen unterschiedlichster politischer Färbung nach neuem Wahnsinn durchstöbert, selektiert, archiviert und schließlich aus dem angehäuften Material zwei Bücher editiert, die die deutsche (Print-)Medienlandschaft der letzten zwei Jahre kritisch auf ihre Gesinnung hin untersuchen?
Antwort Stefan Wirner: Keine einzige. „Ich gehe zum Recherchieren von Zeitungsartikeln immer in meine Kneipe unten im Haus. Die hat eine ganze Palette an Tageszeitungen und Magazinen im Angebot, durch die ich mich arbeite, wenn ich mich über einen längeren Zeitraum mit einem Thema befasse. Das ist viel billiger und außerdem hat man durch das ständige Pendeln eine viel bessere Übersicht.“
Einer dieser „längeren Zeiträume“ war die kritische Phase vom 24. März bis zum 24. Juni des Jahres 1999. Am 24. März begannen die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien. Zu diesem Zeitpunkt brütete Wirner gerade an einem Projekt mit dem Arbeitstitel „Installation D“, einer umfangreichen Collage aus Medienaufzeichnungen zu Themen wie dem neuen deutschen Großmachtstreben, der politischen Stimmung in Deutschland nach der Kohl-Ära und den neoliberalen Grundzügen der Politik Schröders.
Als jedoch die ersten Bomben auf Belgrad fielen und die bürgerliche Presse prompt in den bekannten „Packen wir’s an“-Tonfall verfiel, legte er sein Projekt vorerst auf Eis und beschäftigte sich intensiv mit dem Kosovokrieg. Ein Vierteljahr studierte Wirner die deutschen Medien penibel und legte ein umfangreiches Archiv aus Zeitungsausschnitten an, das ihm als Rohmaterial zu seinem ersten „Roman“ dienen sollte: der Text-Collage „Installation Sieg“.
Die Idee war so einfach wie genial, und Wirner zog seine Praktik der „Entwendung“ bis ins Detail durch. Er schrieb der Chronik des Kosovokrieges durch raffinierte Montage der mitunter haarsträubenden Kriegsberichterstattungen und -kommentaren eine neue Dramaturgie. Was Wirner aber ironisch eine „Kalligrafie des Krieges“ nennt – „Installation Sieg“ besteht letztlich aus einer Aneinanderreihungen von Deutschland-Lobliedern und Kriegseuphorismen – ist in Wahrheit ein entlarvendes Machwerk. Durch die Verdichtung des gesammelten Materials kristallisierte sich der nationalistische, rassistische und mitunter auch faschistische Subtext der Autoren heraus.
Wirner ließ die Texte für sich sprechen, und was er dabei an ideologischen Unterströmungen zu Tage förderte, war so unglaublich, dass man es heute – gerade nach den Enthüllungen um Račak und Uranmunition – schon fast für Satire halten könnte. „Ich sehe meine Bücher aber in erster Linie als literarische Texte und weniger als politische Analysen“, sagt Wirner: „Aus diesem Grund gebe ich auch keine Quellen zu den Zitaten an. Es geht mir nicht darum, die Zeitungen für ihre Texte an den Pranger zu stellen, ich will den Ton aufzuzeigen, der in der bürgerlichen Presse während des Kosovo-Konflikts vorherrschte und der für mich eine bedenkliche Form von Konformität darstellte.“
Mit seiner Arbeitsweise kann sich Wirner in bester Gesellschaft fühlen. Guy Debord hat in seiner situationistischen „Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung“ bereits Mitte der 50er-Jahre das Plagiat beziehungsweise Zitat als notweniges und effizientes Mittel der Revolution propagiert. Es bediene sich der Ausdrücke seines Verfassers und ersetze eine falsche Idee durch eine richtige. „Die Entwendung ist die flüssige Sprache der Anti-Ideologie.“
Wirners Form der Ideologiekritik führt jedoch wesentlich weiter als Debords klassenkämpferischer Ansatz. Endete die Guerilla-Taktik der Situationisten schon in den 50er-Jahren in Intrigenkämpfen und Sektierertum, sieht Wirner sich als Teil einer aktivistischen Gegenöffentlichkeit, die ein ständiges Forum für einen reibungslosen Informationsfluss konstituiert.
Er selbst bezeichnet sein tägliches Ringen mit vorformatierten Nachrichten und nur schwer verifizierbaren Informationen als „tägliche Abwehrleistung“. Wirners Materialstudien sind gleichzeitig rationale Bewältigungsstrategie gegen eine aufkommende Medien-Paranoia wie auch eine dezidierte Auseinandersetzung mit der ideologisch aufgeladenen Sprache des „Feindes“. Welche bisweilen grotesken Formen die annehmen kann, beweist Wirner in seinem zweiten Buch „Berlin Hardcore“, dem jetzt zu Ende geführten Prequel zu „Installation Sieg“, in dem er den Mythos der „Berliner Republik“ von dessen Erbauern gleich selbst zerfleischen lässt.
Von der hysterischern Aufbruchseuphorie über die „Ausländerproblematik“ bis hin zu New Media und den 1.-Mai-Demos lässt er keine Thematik aus, die Dümmlichkeit der Hauptstadt-Prosa vorzuführen. Wirner sagt: „Ich will einen bestimmten Jargon einfangen. Bin ich an diesem Punkt angelangt, erübrigt sich jeder weitere Kommentar meinerseits.“
Der Kommentar steckt bei Wirner in der Art der Montage. Aber nur ungern lässt er sich auf das Feld eines postmodernen Dekonstruktivismus führen. Seine Texte sind kein bloßes Vexierspiel zu einer höheren Wahrheitsfindung, sondern Ausdruck eines ständigen Prozesses der Kritik an den bestehenden Verhältnissen und der eigenen Rolle innerhalb derer. Das aber erfordert eben immer auch ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Informiertheit.
Als Wirner vor etwa einem Jahr einer Arbeitskollegin ein Exemplar von „Installation Sieg“ in die Hände drückte, erzählte sie ihm später, dass ihr besonders die Passagen gefallen hätten, in denen er seine eigene Meinung klar zum Ausdruck bringt. Es bedarf also noch einiger Nachhilfe im Lesen der Zeichen, die tagtäglich in die Medienlandschaft gesetzt werden.
Von Stefan Wirner sind im Verbrecher Verlag Berlin erschienen: „Installation Sieg“ (1999), 18,90 DM, „Berlin Hardcore“ (2000), 24 DM
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