: Ein bisschen Menschenwürde
Flüchtlinge, denen komplett die Leistungen entzogen wurden, sollen wieder ein Dach über dem Kopf und Sozialhilfe bekommen. Das setzte Sozialsenatorin Gabriele Schöttler (SPD) gegen den Widerstand der CDU gestern im Senat durch
von WIBKE BERGEMANN
Sozialsenatorin Gabriele Schöttler (SPD) hat gestern im Senat durchgesetzt, dass Flüchtlinge, die bis Ende vergangenen Jahres eingereist sind, künftig wieder Unterkunft, medizinische Versorgung und Verpflegung gewährleistet wird. „Dadurch sichern wir ein Mindestmaß an Menschenwürde“, sagte Schöttlers Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) zu der Einigung mit Innensenator Eckart Werthebach (CDU). Der hatte bisher als scharfer Befürworter der alten Regelung gegolten.
Die betroffenen Flüchtlinge stammen überwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien. Sie bekommen Leistungen nach dem Paragraf 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes. Von den Ämtern werden sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ eingestuft. Ihnen wird unterstellt, dass sie nur nach Deutschland eingereist sind, um Sozialhilfe zu beziehen. Seit der Verschärfung des Gesetzes 1998 hatten die Ämter die Möglichkeit, den Flüchtlingen die Sozialhilfe komplett zu entziehen, um sie so zur Ausreise zu drängen. Die damalige Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) hatte dies immer wieder forciert.
Rund 5.000 Menschen waren laut Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrates, seit September 1998 die Leistungen vollständig entzogen worden. „Ein wesentlicher Teil von ihnen ist wahrscheinlich bereits ausgereist“, so Classen. Wie viele von der neuen Regelung betroffen sind, kann er nicht sagen. Staatsekretärin Junge-Reyer geht von ungefähr 100 aus, genaue Zahlen gebe es nicht.
Die Flüchtlinge, denen die Sozialämter jede Unterstützung versagt hatten, bekamen bisher kaum eine Chance. Für Aufsehen sorgte zuletzt die Schließung zweier Wohnheime des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zum Jahresende in Pankow. Dort lebten 85 Flüchtlinge, die das DRK aus humanitären Gründen aufgenommen hatte. Nachdem das Heim geschlossen wurde, drohte ihnen erneute Obdachlosigkeit. Sie wohnen jetzt in einem Heim der Arbeiterwohlfahrt
Ein Zugeständnis an den Innensenator ist die mit der Versorgungsgarantie verbundene Stichtag-Regelung: So sollen nur Flüchtlinge, die vor dem 31. Dezember 2000 nach Berlin gekommen sind, eine gesicherte Versorgung erhalten. Wer danach gekommen ist oder kommen wird, kann also wieder auf der Straße landen. Der Flüchtlingsrat fordert deshalb eine generelle Regelung ohne Stichtag.
Die Innenverwaltung wollte sich gestern zu dem Thema nicht äußern. In der nächsten Woche soll die neue Regelung im Senat verabschiedet werden.
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