: An den Händen fassen, Augen schließen
Im Bastard verwob die Transzendental-Rockband A Silver Mt. Zion esoterische Klangfäden zu zarten Soundschleiern
Der Sinn von Trauerarbeit liegt darin, sich damit abzufinden, dass etwas unwiederbringlich von einem gegangen ist und dass es trotzdem weitergehen muss. Alles wird nun zwar anders, aber es gibt ein Leben danach. Die Indierock-Fans dieser Welt mussten lange Zeit besonders tapfer sein. Nichts ist mehr so, wie es mal war. Und an so etwas wie Rock mit vier Buchstaben glaubt außer Surrogat auch fast niemand mehr.
Doch nun gibt es für die Indierock-Gemeinde einen Ausweg aus dem Dilemma: Man feiert Wiederauferstehungsmessen und inszeniert diese mit Pathos und sakraler Inbrunst. Tatsächlich ist Wiederauferstehungs-Indie sogar das Ding der Stunde. Radiohead haben mit ihrer Rocktot-Beschwörung „Kid A“ einen weltweiten Sensationserfolg, und das isländische Erhabenheits-Orchester Sigúr Ros wird als das größte Indie-Ereignis seit langem gefeiert. Radiohead sind in Berlin zuletzt im bestuhlten SFB-Sendesaal aufgetreten, und Sigúr Ros kommen demnächst in die Passionskirche.
Man schafft sich also auch den entsprechenden Rahmen zur Kontemplation und versucht dadurch, Indierock die Zuschreibung von Befreiung zu nehmen. Und macht klar, dass auch die Phase des Nachdenkens über etwas Verlorengegangenes produktiv sein kann.
So herrschte auch beim Konzert von A Silver Mt. Zion, einer geradezu prototypischen Band des neuen Transzendental-Rocks, eine verwischte Atmosphäre im Bastard. Die Band aus Montreal (den meisten wohl hauptsächlich als Ableger der großen Apokalypse-Rocker Godspeed You Black Emperor geläufig) versuchte erst gar nicht, etwas anderes als ein Sit-in-Konzert zu geben.
Die Band, die ursprünglich als kammermusikalischer Ableger des Wall-Of-Sound-Mutterschiffs in Trio-Formation gedacht war und auf der Bühne nun doch schon wieder sechsköpfig auftrat, legte mit ihrem Auftritt nicht etwa – Vorhang auf! – plötzlich los, sondern irgendwann legte sich ein zarter Soundschleier über das Publikum. Das musste wohl das Konzert sein, und das war das Konzert.
Zwei mit der Violine, einer am Keyboard-Piano, ein Kontrabass, ein Cello und die Gitarre. Es war von Beginn an leise und bedächtig, und so blieb es auch die meiste Zeit. Alle starrten gebannt nach vorn. Für einen kurzen Augenblick. Dann teilte sich das Publikum auf. Die eine Hälfte fasste sich an den Händen, man setzte sich vorn auf den Boden, stellte das Bierglas neben sich und schloss die Augen. Zu esoterischen Klangfäden zwischen Arvo Pärt und den Rachels ließ sich besonders gut meditieren. Alle anderen holten sich noch mal ein Bier, verkrochen sich nach hinten und unterhielten sich darüber, ob Godspeeed-You-Black-Emperor-Konzerte ähnlich einlullend seien.
„Lonely As The Sound Of Lying On The Ground Of An Airplaine Going Down“. So und ähnlich nennen A Silver Mt. Zion ihre Stücke. Die klingen, wie sie heißen: traurig. Aber auch poetisch. Sitz- und Nachdenk-Konzerte. Ist das Ende von Rock ’n’ Roll seine Zukunft? Auch das Konzert von A Silver Mt. Zion deutet darauf hin.
ANDREAS HARTMANN
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