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Alternde Diva des Freiheitskampfes

Im Dschungel der Diplomatie: Der australische Dokumentarfilmer Tom Zubrycki verfolgt in seinem kritischen Porträt „Der Diplomat“ die chaotische Lebensgeschichte des osttimoresischen Friedensnobelpreisträgers José Ramos Horta (Forum)

von SVEN HANSEN

Diplomatie ist das Bohren dicker Bretter, gilt als hohe Kunst und kann verdammt ermüdend sein. José Ramos Horta hat damit einige Erfahrungen gemacht. Als sich die indonesische Armee 1975 anschickte, nach den Wirren der portugiesischen Nelkenrevolution Lissabons südostasiatische Kolonie Osttimor zu erobern, erklärte die dortige Freiheitsbewegung die Inselhälfte für unabhängig, machte den damals 25-jährigen Ramos Horta zu ihrem Außenminister und schickte ihn mit dem letzten Flugzeug nach New York. Als er bei der Uno ankam, metzelten die indonesischen Soldaten bereits seine Landsleute nieder. Etwa 200.000 Menschen, ein Drittel der damaligen Bevölkerung, starben durch die Folgen der Invasion.

Ramos Horta verbrachte die nächsten 24 Jahre in Hotels, Taxis und Flughäfen zwischen Sydney, Lissabon, New York und den zunächst nur wenigen Haupstädten, wo man sich überhaupt für das Schicksal seiner Heimat interessierte. Während in Osttimors Bergen eine kleine Guerilla mehr schlecht als recht der Übermacht des indonesischen Militärs trotzte, wurde der Sohn eines nach Osttimor verbannten portugiesischen Oppositionellen und einer osttimoresischen Mutter zum Freiheitskämpfer im Dschungel der Diplomatie. Dort wurde aus dem Bittsteller mit der Zeit ein gefragter Gesprächspartner.

Ramos Horta und Bischof Carlos Belo wurden 1996 für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung des Osttimor-Konflikts überraschend mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und damit weltbekannt. Anlass für den preisgekrönten australischen Dokumentarfilmer Tom Zubrycki („Exile in Sarajevo“), den ungewöhnlichen Diplomaten bei seiner Arbeit rund um die Welt mit der Kamera zu begleiten. Sein Film zeigt die letzte Etappe vom Weg Osttimors in die Unabhängigkeit und von Ramos Horta zurück in die Heimat.

„Ich fühle mich, als hätte ich einen steilen Berg erklommen. Der Aufstieg dauerte 24 Jahre, und ich bin sehr erschöpft“, sagt Osttimors Chefdiplomat im ersten Teil. Der Film endet zwar mit Ramos Hortas triumphaler Rückkehr am 1. Dezember 1999 nach Dili, zeigt ihn inmitten von „Viva!“-Rufen und enthält auch andere pathetische Szenen („Wir werden niemals kapitulieren“). Trotzdem ist es weder ein Propagandafilm noch ein revolutionäres Heldenepos.

Ramos Horta ist auch kein Held. Eher gibt er sich fast schon als alternde Diva, die prinzipienfest ist, aber vor der Kamera auch erstaunlich undiplomatisch sein kann. So bezeichnet er etwa Indonesiens Suharto als „kleines Stück Scheiße von einem Diktator“ oder nennt seine osttimoresischen Landsleute, die sich von Jakarta haben einspannen lassen, „Idioten, aus deren Mund nur Scheiße quillt“. Auf diese Äußerungen von der taz bei seinem gegenwärtigen Berlin-Besuch angesprochen, sagt der undiplomatische Diplomat lapidar, dass er den Zuschauern überlasse, sich selbst ein Bild zu machen. Die Geschichte habe ihm doch Recht gegeben. Ursprünglich wollte Ramos Horta den vom renommierten australischen Multikultisender SBS koproduzierten Film vor der ersten Ausstrahlung gegenchecken. Doch nachdem er selbst nach Dili zurückgekehrt sei, habe er dazu keine Zeit mehr gehabt, sondern Zubrycki und seinem Team vertraut.

Warum in dem mit zahlreichen historischen Rückblenden versehenen Film die Verleihung des Nobelpreises und so wichtige Leute wie Bischof Belo völlig fehlen, verstehe er auch nicht. Das sei allein Entscheidung der Filmemacher gewesen.

Sich selbst sieht Ramos Horta auch nicht ganz richtig charakterisiert. „An einigen Stellen sind die Fakten falsch dargestellt“, meint er. Er nennt eine ausführlich geschilderte Szene, in der osttimoresische Führer – Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung und Befürworter der indonesischen Annexion – in einem Schloss in Österreich verhandeln.

Der Film zeigt Ramos Horta als stur und undemokratisch, weil er den zum Greifen nahen Kompromiss in einer als eigenmächtig dargestellten Entscheidung ablehnt und so die Verhandlungen platzen lässt, ohne dies vorher mit seinen Kollegen abgesprochen zu haben. In Wirklichkeit sei es umgekehrt gewesen, sagt Ramos Horta: „Vielmehr wurde ich davon überrascht, dass die Gegenseite die Verhandlungen abbrach.“ Doch seine Reaktion auf die im Anschluss an die geplatzten Verhandlungen gezeigte Kritik der eigenen Leute ist nicht gerade überzeugend.

Im Film ist Ramos Horta unermüdlich auf Achse, trifft Kofi Annan, den australischen oder indonesischen Außenminister, exilierte Landsleute in Lissabon oder Sydney, bringt nach dem erfolgreichen Unabhängigkeitsvotum und dem Amoklauf der proindonesischen Milizen schließlich US-Präsident Bill Clinton dazu, Druck auf die indonesische Regierung auszuüben, oder er besucht den Führer der Unabhängigkeitsbewegung, „Xanana“ Gusmao, im Gefängnis in Jakarta.

Leider äußern sich seine indonesischen Widersacher nicht über Horta. Und auch die Hintergründe, die den Konflikt für Außenstehende verständlich machen, kommen in „The Diplomat“ etwas kurz. Vielleicht werden sie in der australischen Heimat des Films als bekannt vorausgesetzt. Eine One-Man-Show war die Befreiung Osttimors allerdings nicht: Ramos Horta hat bestimmt sehr wichtige Arbeit geleistet, war aber nur einer der Akteure.

„The Diplomat“, Regie: Tom Zubrycki, Australien, 81 Min.

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