: Abfahrt ist das wahre Leben
Obwohl ihr Abgott Hermann Maier wieder nicht Weltmeister wird, können sich die Österreicher dank Abfahrtssieger Hannes Trinkl mit dem Ergebnis des für sie einzig wahren WM-Events anfreunden
aus St. Anton MICHAEL SCHOPHAUS
Um die Bedeutung einer Abfahrt in Österreich zu verstehen, muss man mal zu einem unanständigen Vergleich greifen dürfen. Es ist ungefähr so wie bei uns Deutschen Schalke, Ecstasy und Fasching zusammen. Ehrlich, abgedreht und ziemlich beschwingt. Denn wenn einer ihrer vielen, kernigen Naturburschen – endlich nach so langem Warten! – den Berg hinunterrast, rasten sie aus, trinken sie Obstler bis zum Abwinken und schwingen Kuhglocken, die größer sind als ihr Vieh selbst. Dann liegen sie sich in den Armen, brüllend, lallend und allesamt total verrückt.
Abfahrt in Österreich heißt aber auch Maier Hermann, der in einem guten Winter sogar den Haider Jörg aus den Schlagzeilen verdrängt – falls der Schnee nicht gerade so braun ist, dass kein Rennen stattfinden kann. Ein guter Österreicher kennt die Schuhgröße des Herminators, wie er huldvoll heißt, sein Lieblingsessen, die besten Sprüche, die Marke seiner Ski und die Namen seiner Damen. Das Volk der Berge sieht ihm vieles nach. Solange er gewinnt, wie auf der Streif in Kitzbühel vor drei Wochen, solange er wenigstens als Zweiter stilvoll in die Ränge fährt wie gestern bei der Abfahrt in Sankt Anton hinter dem Mitösterreicher Hannes Trinkl.
Aber wehe nicht! Wehe, er ist ein schlechter Verlierer wie im Super G zuvor, oder er hat gar keinen Platz auf dem „Stockerl“. Dann weinen die Zeitungen in übergroßen Titelzeilen wie „Traum vom Sieg brutal zerstört“ oder „Austria trägt Trauer!“. Dann lassen sich seine Fans und solche, die sich dafür halten, in einem Medium aus, das auf manch einsamer Alm selbst denen immer öfter in die Hände gerät, die noch klamme Finger vom Melken haben. Ist ganz schön was los auf Maiers Homepage www.hm1.com, nach einem Rennen gibt es nicht selten bis zu dreitausend Eintragungen. Und was für welche! „Ha, verpissen soll sich der Hermann“, schreibt einer. Und während Katrin ihrem Hermann liebevoll Mut macht, meint ein anderer: „Du bist das größte Hirngefickte, das ich kenne.“
Es lässt eben keinen kalt, was er im Winter macht, der Maier Hermann. Schon gar nicht, wenn die Weltmeisterschaften im eigenen Land stattfinden. Hermann ist das Allgemeingut der Österreicher. Irgendwann einmal wird er sicher als austrifiziertes Heiligtum in den Geschichtsbüchern enden, und seine Bretter werden im Museum landen. Einer seiner verwegenen Vorgänger, der Klammer Franz, hat das ja auch schon geschafft. Doch die Abfahrt, von Samstag und Dienstag auf Mittwoch verschoben, hat es mal wieder gezeigt. Er hat nicht nur Freunde in der eigenen Mannschaft. Kein Wunder bei einem, der so draufhaut und gerne austeilt und sich, wo es nur geht, in den Vordergrund drängt. Der lieber, wenn schon nicht er, der King himself, gewinnt, einen Amerikaner siegen sieht und sich damit einig ist mit den wichtigen Leuten aus Sankt Anton. Denn solche Siege wie der von Daron Rahlves im Super G und auch der überraschende dritte Platz des deutschen Flori Eckert in der Abfahrt kurbeln den Tourismus an und lassen so manchen Münchner oder auch New Yorker gerne wieder nach „Stänton“ kommen, wie der Ort hinterm großen Teich genannt wird. Die Weltmeisterschaften nämlich sind bisher buchungsmäßig ein großer Flop, überall gibt es noch freie Betten, und einige teure Hotels stehen fast leer da. Das haben sich manche hier anders vorgestellt, die lieber Kassen klingeln hören wollten als das Kuhglockenläuten der Fans. Die meisten Anhänger kommen am Morgen des Rennens übernächtigt am neuen Bahnhof grölend, wichtig, saufend an und fahren abends grölend, wichtig, saufend wieder weg. Auch das ist ein bisschen so wie Schalke.
Spätestens seit gestern sind die Weltmeisterschaften für sie aus. Sie beginnen für sie mit der Abfahrt und enden mit der Abfahrt, und sicher lässt sich kaum besser die ernsthafte Euphorie für die Abfahrt in Österreich beschreiben als mit jener Szene, die sich gestern Mittag vor dem langen Zaun im Ziel ereignete. Toni steht da. Toni aus Landeck. Oder was von ihm übrig geblieben ist. Denn Toni ist schon ganz schön abgefüllt für die frühe Uhrzeit. Seine Farben im Gesicht, das stolze Rot-Weiß-Rot für Austria, sind stark verwischt und könnten gut als Schweiz durchgehen.
Er sei, sagt Toni, gekommen, um Österreich siegen zu sehen. Um Österreich zu repräsentieren (na ja, Toni). Um allen zu zeigen, dass sie mehr haben als einen Landsmann aus Kärnten, einen Schwarzenegger in Hollywood und Ärger mit dem Schröder da bei euch. Dort, sagt Toni und zeigt stolz auf das steile Grauen aus Eis und Schnee, wenn du dort als Schnellster runterkommst, bist du ein echtes Mannsbild, ein Held für dein Land oder der größte Depp der Nation, wenn es nichts wird mit dem Sieg. Das ist das wahre Leben für einen wie den Toni. Und der Maier Hermann? Der war für ihn irgendwas dazwischen, kein Held und doch kein Depp.
Abfahrt in Österreich. Bald wieder mehr davon.
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