: In Stilfragen unsicher
Vier Monate ist Tom Stromberg Intendant am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, schon wird der Ruf nach Ablösung laut. Der kaufmännische Direktor hat um Entlassung gebeten. Morgen wird über die Nachfolge entschieden
Auf den ersten Blick scheint die Sache überschaubar und keines Aufhebens wert. Peter F. Raddatz, kaufmännischer Geschäftsführer des Deutschen Schauspielhauses, hat die Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss um vorzeitige Auflösung seines Vertrages zum Ende dieser Spielzeit gebeten, und zwar „aus persönlichen Gründen“. Das Schauspielhaus hat daraufhin Jack Kurfess, von 1992–2000 erfolgreicher kaufmännischer Leiter der Hamburger Kampnagelfabrik, als Nachfolger vorgeschlagen. Die Kulturbehörde nahm umgehend Gespräche mit Kurfess auf, der den Job gerne übernehmen würde. Morgen wird der Aufsichtsrat des Theaters in einer turnusmäßigen Sitzung über die Anträge entscheiden. Aller Voraussicht nach in beiden Fällen positiv.
Auf den zweiten Blick sieht alles etwas unüberschaubarer aus. Und negativer. Sowohl was die Situation des Theaters als auch was das Verfahren betrifft – vor allem das Verfahren der Medien mit der Situation. Das konservative Hamburger Abendblatt verriet gleich am Tag nach der Kündigung mit unverhohlener Freude Raddatz’ „wahre Beweggründe“: das Haus würde „nur noch vor sich hindümpeln“ und es gäbe „nicht genügend konkrete Planung, um für das Theater eine konkrete Perspektive zu sehen“. Die Behauptung der Abendblatts, die Besucherzahlen des Schauspielhauses seien auf dem Tiefstand der letzten 15 Jahre, fand sich zwei Tage später ungeprüft in der Süddeutschen Zeitung wieder, wo flugs die Absetzung des Intendanten gefordert wurde: Tom Stromberg sei ein „Fehler, der rasch korrigiert werden muss“. Raddatz’ Kündigung hingegen „eine rote Ampel. Signalisiert: Vorsicht und Stopp. Heißt: Habet Acht! und Lass die Wacht!“ Die Hatz begann.
Bei so viel sprachlichem Anachronismus darf ein Blick in die Geschichte gewagt werden. Der Umgang mit Intendanten am Deutschen Schauspielhaus ist nämlich – obwohl das Theater 1900 von einer Aktiengesellschaft hanseatischer Bürger als „Bollwerk gegen den schlechten Geschmack“ errichtet wurde – nicht eben von Stilsicherheit getragen. Allein seit dem Ende der Ära Gründgens 1968 haben sich hier zwölf Intendanten die Klinke in die Hand gegeben. Manche, etwa Egon Monk, kapitulierten bereits nach zwei Monaten. Auch Michael Bogdanov und Gerd Schlesselmann blieben nur je ein Jahr auf dem Posten, bevor 1993 Frank Baumbauer die Intendanz übernahm.
Frank Baumbauer hat in Hamburg mit seinem sensiblen Dramaturgenteam und einem wunderbaren Ensemble fraglos große Arbeit geleistet. Mit einer Mischung aus Experiment und exzellentem großen Theater hat er das Publikum aufgeschlossen für neue Formen, hat Kritik und bürgerliche Zuschauer gleichermaßen überzeugt. Künstlerisch wie finanziell erfolgreich, verabschiedete er sich nach sieben Jahren mit einer durchaus legitimen Begründung: „Der Sex ist raus.“
Dass sein Nachfolger erst einmal nur verlieren konnte, lag auf der Hand. Christina Weiss’ Berufung von Tom Stromberg, der nie danach strebte, Baumbauers Linie fortzusetzen, war da eine mutige. Vielliecht nicht die richtige – doch das zu entscheiden, ist nach vier Monaten noch zu früh.
Tom Stromberg hat viele Fehler gemacht. Seine Arroganz, die Eröffnungsflops, das ausnahmslose Setzen auf den Hippness-Faktor, die vielen Gastspiele und wenigen Eigenproduktionen auf der großen Bühne machen es legitim, ihn anzugreifen. Einen „Sturzflug“ (Berliner Tagesspiegel) oder „Exodus am Schauspielhaus“ (Hamburger Morgenpost) nach einer einzigen Kündigung zu behaupten, ist jedoch falsch. Und dass Stromberg nun die „Kampnagelisierung“ – will heißen: ein Schwerpunkt auf Theaterperformances – des größten deutschen Sprechtheaters vorgeworfen wird, ist mehr als verwunderlich – mit diesem Konzept wurde er schließlich eingekauft. Die Idee dahinter war nicht, wie ebenfalls behauptet, die „Avantgarde von gestern als neueste Mode“ anzupreisen. Man könnte stattdessen argumentieren, dass der Wandel der Sehgewohnheiten, den nicht zuletzt ihre Experimente in den Achtzigern ausgelöst haben, es eben heute möglich macht, sie in den Mainstream zu integrieren.
Kann sein, dass der Plan nicht aufgeht. Vielleicht strukturbedingt in einem Haus, das durch seine Größe auf ein breites Publikum angewiesen ist. Das wäre fatal für Stromberg. Vielleicht sind die momentanen Misserfolge aber auch qualitativ bedingt – daran könnte man arbeiten. Das Ensemble hat sich jedenfalls schriftlich hinter „den eingeschlagenen Weg“ gestellt: „Wir empfinden den hysterischen Ruf nach einem neuen Intendanten als haltlose Vorverurteilung und Behinderung unserer Arbeit.“ Die Kulturbehörde betont, dass die Auslastung bei 64 Prozent liegt und die Einnahmeerwartung mit bis jetzt 1, 5 Millionen Mark erfüllt sei. Vor der Exekution sollte man dem neuen Team zumindest eine Saison Zeit geben. CHRISTIANE KÜHL
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