: Das wässrige Gastmahl
Allerorten schuppige Orakel: In Forum und Panorama geht der Trend zum esoterischen Fischfilm. Geblubber aus blutrot gefärbten Kellern fordert: Listen to your Meerestier!
Fische gehören in die Pfanne oder auf den Grill – aber die Idee, dass sie anfangen, Lebenweisheiten von sich zu geben, dürfte sich spätestens seit dem Grass’schen Butt überlebt haben.
Dementsprechend genervt reagiert man zunächst auch auf das dicke schuppige Wesen, das irgendwelche Plattitüden von Schicksal, Vorhersehung und anderen bedeutungsschweren Eso-Kram von sich gibt. Schon im Titel bringt Denis Villeneuve „Maelstroem“ so etwas wie Vorbestimmung ins Spiel – wurde der Held aus Edgar Allen Poes gleichnamiger Novelle nicht auch nach unten gezogen, um dann wieder geläutert an die Oberfläche gespült zu werden?
Ähnlich ergeht es auch der Filmheldin des Franko-Kanadiers, als ihr Leben durch einen Autounfall endgültig aus der Bahn geworfen wird. Bei der 25-jährigen Bibiane handelt es sich um diesen neuartigen Karrieretyp, der mit aller Selbstverständlichkeit glaubt, dass ihm die Welt zu Füßen liegt. Aber Leere und Lethargie werden auch sie irgendwann einholen! Und jede einzelne Etappe ihres Falls – Abtreibung, Konkurs, Rausschmiss, Fahrerflucht, Selbstmordversuch und neue Liebe – wird gnadenlos vom besagtem Riesenfisch aus einem dunklen, unheilvoll blutrot gefärbten Keller kommentiert.
Irgendwann nimmt man diese seltsame Ausformung des griechischen Chors sogar ernst, denn der Film hat einen mittlerweile in seinen ureigenen Maelstrom-Sog hineingezogen, in dem Dinge und Personen durch wunderliche Begegnungen zueinanderfinden.
Von der schicksalhaften Zusammenführung zum platonischen Kugelmenschen (und zu einer der jetzt schon schönsten Einstellungen dieser Berlinale): In „Love-juice“ formen zwei Frauenkörper im diesigen Morgenlicht einen friedfertigen Kreis. Wenigstens im Schlaf haben sich da zwei Seelen vereinigt. Denn ansonsten läuft die eine der anderen immer wieder weg. Mika und Shika, zwei Mädels im gegenwärtigen Japan, sind auf der Suche nach sich selbst und der anderen Hälfte der Kugel. Während die eine sich immer mehr verschließt, geht die andere fröhlich-unbekümmert ihren Weg. Man teilt Tisch und Bett und irgendwann will Shika noch mehr. Unglaublich, mit welcher Leichtigkeit und welch sparsamen Dialogen die japanische Regisseurin Kaze Shindo in ihrem Regiedebüt schwere Themen wie Liebe auf der Flucht, unbestimmte Sehnsüchte und unerfüllbares Begehren inszeniert.
Auch hier übernehmen geschuppte Wesen eine vorweggreifend-metaphorische Funktion. So sieht man immer wieder fasziniert zu, wie ein Piranha ein armes goldiges Fischlein anknabbert. Sinnbild für die Beziehung von Mika und Shika? Jedenfalls finden die beiden ihren Weg doch noch zueinander. Nicht umsonst heißt der Film „Love-Juice – Liebessaft“, denn er wartet zu Bobby McFerrins „Don’t worry, be happy“ mit einem ganz besonderen Gastmahl auf.
ANKE LEWEKE
„Maelström“. Regie: Denis Villeneuve, Kanada, 88 Min. „Love/Juice“. Regie: Kaze Shindo, Japan, 116 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen