Jungs und ihre Ordnung

Harun Farocki erzählt Geschichten über die Entstehung von Dokumentarfilmen, und Intellektuelle diskutieren über den Umgang mit der Maus: Das „Suchbilder“-Symposium in den Kunstwerken

von TOBIAS RAPP

Die Bilder sind einfach zu lesen: Eine Modelleisenbahn fährt quietschend um den Baum im Hof herum; der Raum, in dem einmal ein Buchladen war, ist jetzt ein riesiger Sandkasten, davor stehen ein halbes Dutzend Kinderwagen. Die Kunstwerke in der Auguststraße sind ein Spielplatz. Während die Kinder im Sand herumpurzelten oder die Eisenbahn anstaunten, saßen die Eltern vergangene Woche in der großen Halle des Gebäudes und schauten zu, wie drei Tage lang intellektuelle Bauklötze aufgestapelt und wieder umgeworfen wurden: Die Kunstwerke hatten zum „Suchbilder“-Symposium geladen.

Für die Sprache gibt es Wörterbücher, was gibt es für die Bilder? Ist es denkbar, Systeme zu entwickeln, die Bilder archivieren, ohne ihnen die Ordnung der Worte aufzuzwingen, sie zu verschlagworten? Um solche Dinge sollte es gehen, in einem dialektischen Dreischritt, der das Schaffen des Dokumentarfilmers Harun Farocki aktueller Bildsuchsoftware gegenüberstellen sollte – Autorensubjektivität versus Maschinenlogik –, um am dritten Tag Kulturwissenschaftler verschiedenster Couleur über eine mögliche Synthese diskutieren zu lassen. Farocki geht von einem filmischen Topos aus. Von Arbeitern, die aus einer Fabrik kommen, Händen, die etwas machen, oder Bildern aus dem Gefängnis, und erzählt dann die Geschichten dieser filmischen Wendung. Assoziativ, subjektiv und genau. Mal streng von einer Bildsequenz ausgehend wie bei „Arbeiter verlassen die Fabrik“, wo er sich von dem ersten jemals gedrehten Film – einer Aufnahme des Tors der Fabrik, in der der Film hergestellt wurde – durch die Filmgeschichte bewegt. Mal formalistisch wie in „Der Ausdruck der Hände“, wo er ständig über seine eigenen Hände am Schnittplatz schwenkt, während auf den Studiomonitoren Bilder von Taschendieben laufen oder Aufnahmen aus Waffenfabriken im Dritten Reich. Mal reportagehaft wie in „Gefängnisbilder“, wo es nicht nur um die Geschichte bestimmter Motive des Gefängnisfilms geht, sondern auch darum, dass die Kamera mittlerweile ins Gefängnis gelangt ist und mitunter – etwa in kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen – Kamerablick und Schussfeld der Wärter dasselbe sind. Farocki saß auf dem Podium, führte Filmschnipsel vor, zog große historische Linien und erzählte kleine Geschichten darüber, wie Dokumentarfilme entstehen, wie viel vom Zufall abhängt, und davon, für welches Material man sich die Rechte leisten kann.

Fast kam man sich vor, als ob die Kunstwerke dem Willen zum großen Wurf abgeschworen hätten, um fortan als Volkshochschule für Mitte-Bewohner das Sehen zu lehren. Wie funktioniert ein Bild? Wie entstehen filmische Räume, wie werden Nähe und Ferne hergestellt?

Doch so blieb es nicht, und spätestens am dritten Tag, als die Programmierer wieder in ihren Labors verschwunden waren, ging es nicht mehr um die Farocki’sche Verspieltheit, um diese besondere Art von Sendung mit der Maus für Intellektuelle. Jetzt ging es um Intellektuelle und die Maus in ihrer Hand. Jungs und ihre Ordnungen. Sechzehn Theoretiker und ihr Blick auf die Welt.

Das war manchmal interessant. Etwa wenn der Künstler Christoph Keller präsentierte, wie in den Fünfzigern schon einmal der Versuch unternommen wurde, ein Enzyklopädie der Bilder der Welt zu erstellen. Jedem Tier und seinen möglichen Bewegungen sollte ein kurzer Film gewidmet werden, um so ein virtuelles Archiv aller möglichen Bewegungsbilder zusammenzustellen. Meistens kam man sich jedoch vor wie im falschen Film: Satellitenbilder, Computerordungssysteme, Fotoalben, Hobbyfilme, Copyright. Du hast zehn Minuten, die Uhr läuft.

Man hätte das Ganze aber auch unter „Angehende Professoren und ihre Karrierestrategien“ verschlagworten können. Dazu reichte das Bild des Medienarchäologen und Veranstaltungs-Mitorganisators Wolfgang Ernst, wie er auf dem Podium saß und forderte, eine Wörterbuch der Bilder müsse her, in der Tradition der großen Wörterbuchprojekte, und es müsse hierher: „Welcher Ort, wenn nicht hier? Berlin-Mitte, hier in den Kunstwerken in der Auguststraße, wo die E-Commerce-Firmen sitzen.“

Dazu brauchte man nur zuzuschauen, wie der Moderator und Mitorganisator Stefan Heidenreich den HU-Professor Friedrich Kittler hofierte. Das war nicht schwer zu deuten – hier ging es um Standortpolitik. Darum, an der Humboldt-Universität einen Fachbereich zu bekommen, der sich diesen Themen widmet, mit dazugehörigen Forschungsgeldern, Drittmitteln, Räumen, Jobs und Einfluss.

Aber wer weiß. Vielleicht stand diese Kombination aus Gier nach einem wichtigen Posten und Bedürfnis nach Ordnung der Welt auch am Anfang des Grimm’schen Wörterbuchs und der Enzyklopädie der französischen Aufklärer. Wahrscheinlich braucht es für eine cinematografische Enzyklopädie genau so eine Mentalität: eine Art Morphing aus Verwaltungsangestelltem und Poststrukturalismus-Hipster. Man möchte nur nicht dabei zuschauen, wie sie sich ihre Gründungsmythen zusammenbasteln.