piwik no script img

Ich bin zwei Fruchtfliegen

Die Entschlüsseler des menschlichen Erbguts haben weniger Gene gefunden als gedacht. Heute werden die Ergebnisse des Humangenomprojekts präsentiert

BERLIN taz ■ Der Mensch hat nur doppelt so viele Gene wie die Fruchtfliege, und kaum 300 mehr als die Maus. Oder auch fünfmal so viel wie Hefe. Das ist eines der ersten Ergebnisse, mit denen die beiden wetteifernden Projekte zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms die wissenschaftliche Öffentlichkeit beglücken wollen.

Das hauptsächlich von den fünf Regierungen der USA, Großbritanniens, Japans, Frankreichs und Deutschlands getragene Human Genome Project (HGP) wird im britischen Magazin Nature publizieren, die Privatfirma Celera Genomics aus dem US-amerikanischen Maryland bei der US-Konkurrenz Science. Um die nicht wissenschaftliche Welt für die Erkenntnisse der Entschlüsseler zu begeistern, veranstalten die Wissenschaftsminister der fünf tragenden HGP-Nationen heute in ihren Hauptstädten Pressekonferenzen.

In den Vorabberichten vom Wochenende ließen sich die beteiligten Wissenschaftler von ihrem Interpretationswillen schon recht weit tragen: Da es statt der vermuteten 80.000 bis 100.000 menschlichen Gene nur rund 30.000 gebe, sagte der Celera-Chef Craig Venter zur britischen BBC, könne man davon ausgehen, dass der Mensch wesentlich stärker durch Umwelteinflüsse geprägt sei, als es die Biowissenschaften bislang annehmen wollten. „Wir sind nicht fest verdrahtet“, sagte Venter. „Es gibt einfach nicht genug Gene, um die These von der biologischen Bestimmung des Menschen aufrechtzuerhalten.“ Ob er mit diesem plötzlichen Eingeständnis nicht auch zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt Kritik abfangen wollte, blieb gestern offen.

Celera und HGP hatten beide im vergangenen Sommer bereits in groß angelegten PR-Aktionen bekannt gegeben, dass 97 bzw. 99 Prozent des menschlichen Erbguts entschlüsselt seien. Damals präsentierten sie freilich keine Ergebnisse, sondern nur Vergleiche: Ihr Projekt sei mindestens die „Mondlandung der Biologie“, komme vielleicht sogar der Erfindung des Rades nahe. Nun werden die versprochenen Resultate, die „Landkarten“ des Erbguts, nachgeliefert.

Darüber, welche Möglichkeiten sich aus der Kartierung des Genoms ergeben, gehen seit Monaten die Meinungen auseinander: Venter, den Börsenwert seines Unternehmens fest im Blick, und die mit bislang gut drei Milliarden Dollar gesponserten HGP-Forscher erwarten in Bälde bahnbrechende Erkenntnisse über die genetische Disposition für Krankheiten wie Krebs und Depressionen. Sie vermuten, dass etwa die Neigung zu Drogenmissbrauch zu 50 Prozent genetisch bedingt ist.

Andere Forscher sind da etwas vorsichtiger. John Sulston von der Universität Cambridge sagte der BBC: „Es gibt keine schnellen Schlussfolgerungen. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis wir die Funktion all dieser Gene verstehen. Die Entdeckung ist eine Sache, die Anwendung der Ergebnisse eine andere.“

UWI

report SEITE 3, meinung SEITE 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen