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„Wir töteten täglich um die Wette“

Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Menschenexperimente: In Minori Matsuis Dokumentarfilm „Riben Guizi“ (Forum) gestehen japanische Veteranen zum ersten Mal öffentlich ihre Kriegsverbrechen in China und brechen damit ein Tabu

„Im Winter haben wir überall Feuer gelegt. Die Soldaten trugen Babys und warfen sie hinein“, berichtet ein japanischer Veteran. Ein anderer ehemaliger Soldat der kaiserlichen Armee erzählt, wie seine Einheit in einem verlassenen Dorf eine Frau fand und sie nackt ausgezog: „Wir steckten ein Tuch in ihre Scheide, das mit Benzin getränkt und angezündet wurde. Alle schauten zu, auch die Vorgesetzten. Es war eine Art Truppenunterhaltung.“

Solche schockierenden Geständnisse brechen in Japan ein Tabu. Vierzehn „Japanische Soldaten des Teufels“, so die deutsche Übersetzung des chinesischen Titels dieses mutigen japanischen Films, gestehen vor der Kamera ihre Verbrechen im Krieg gegen China (1931 bis 1945). Es ist das erste Mal, dass mehrere japanische Täter sich zu Massentötungen, Vergewaltigungen, Menschenversuchen und anderen Kriegsverbrechen bekennen. Sie legen damit Zeugnis von den bis heute verleugneten Gräueln ab und bitten die Opfer auf diese Weise um Verzeihung.

Die Ränge der vierzehn greisen Veteranen, die hier das Schweigen brechen, reichen vom einfachen Soldaten bis zum Offizier, vom Militärarzt bis zum Militärpolizisten. Die Täter erscheinen als völlig normale Menschen und legen den Zuschauern nahe, dass auch sie solche Taten begehen könnten. Nüchtern und detailliert erzählen die von Altersflecken gezeichneten Veteranen von ihren Gräueln und den geringen Skrupeln, mit denen sie diese begangen haben.

„Durch das Töten bewiesen wir Treue gegenüber dem Kaiser. Es war eine ehrenvolle Tat, man erhielt einen Orden“, sagt Yoshio Tsuchiya. Er deutet an, wie die Gehirnmasse der Opfer umher spritzte, und beschreibt, wie er chinesische Gefangene durch das Eintrichtern von Wasser oder mit glühenden Brenneisen folterte. „Wir taten Dinge, die man nie für möglich gehalten hatte“, sagt der heute 90-Jährige. Er war an der Folter von fast zweitausend Chinesen beteiligt und tötete mehr als dreihundert.

Während sich die Japaner für Abkömmlinge des göttlichen Kaisers hielten, sahen sie in den Chinesen Würmer und keine Menschen. Der frühere Feldwebel Hiraku Suzuki beschreibt, wie an gefesselten Gefangenen das Töten mit dem Bajonett geübt wurde. „Wir töteten täglich sozusagen um die Wette.“ Yoshio Shinzuka, der zur berüchtigten B-Waffeneinheit 731 gehörte, gesteht die Massenproduktion von Cholera- und Milzbrandbakterien und von Experimenten mit Krankheitserregern an Gefangenen. „Ich hatte keinerlei Schuldgefühle“, sagt er. Die Forschungsergebnisse dieser geheimen Einheit, deren Existenz Tokio erst vor einigen Jahren einräumte, sicherten sich nach Kriegsende die USA im Tausch für Straffreiheit der japanischen Verantwortlichen.

Ein früherer Militärarzt berichtet von medizinischen Übungen an Gefangenen wie Amputationen oder dem Herausoperieren von Kugeln. Zuvor hatte der Chefarzt dafür eigens die Gefangenen angeschossen, die oft noch während der Operation durch die ungeübten Nachwuchsärzte verstarben. Ein anderer berichtet von den alltäglichen Vergewaltigungen, die meist mit dem Mord an den Frauen endeten, um die Zeuginnen zu beseitigen. Das Töten von wehrlosen Gefangenen, Greisen, Frauen und Kindern galt als Mutprobe. Wer da nicht mitmachte, wurde von seinen Kameraden nicht akzeptiert. Japanische Rekruten wurden auch von höheren Rängen schikaniert und mussten sich zum Beispiel gegenseitig ohrfeigen, wie ein Veteran berichtet. Der Konformitätsdruck trieb ihnen jeden Rest von Menschlichkeit aus.

Zwölf der vierzehn Veteranen, die sich im Film zu ihren Verbrechen bekennen, saßen nach dem Krieg in chinesischer Gefangenschaft. Sie hatten mit Vergeltung gerechnet, doch die Chinesen rächten sich nicht an ihnen, vielmehr behandelten sie die japanischen Gefangenen viel besser als erwartet. Bereits in China gestanden die japanischen Soldaten ihre Taten und entschuldigten sich. Als sie 1956 in die Heimat zurückkehrten, erlebten sie einen Schock. In Japan, wo die Kriegsverbrechen bis heute totgeschwiegen werden und die Nation am Bild des gerechten Krieges ihrer göttlichen Armee festhält, schlug den Rückkehrern Feindschaft entgegen. Sie galten als Verräter, die in China offensichtlich einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren.

„Meine Frau war total entsetzt, weil ihr nie im Traum einfiel, dass wir im Krieg unschuldige Zivilisten getötet haben. Sie dachte, dass wir für die Gerechtigkeit gekämpft haben“, berichtet ein Veteran. In einer Filmszene ist im Hintergrund eine Ehefrau zu sehen, die beschämt nach unten blickt, während ihr Mann berichtet, mit welcher Selbstverständlichkeit er und seine Kameraden im Krieg vergewaltigt hatten.

In der Erinnerung an den Krieg sehen sich Japaner heute mehr als Opfer denn als Täter. Man gedenkt der Toten und den Opfern der beiden Atombombenabwürfe und blendet dabei aus, wie es dazu kam. In japanischen Museen finden sich keine Exponate über die Gräuel japanischer Soldaten in den von ihnen besetzten Ländern. Die Kriegsverbrechen aus der Sicht der Täter überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und zu dokumentieren, war in Japan bisher Tabu. Wie schwer das ist und dass das auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen die Auseinandersetzungen um die Wehrmachtausstellung, die es in ähnlicher Form in Japan nicht gab.

„Mein eigener Vater hat in China gekämpft und nie darüber erzählt“, sagt der Regisseur des Films, Minoru Matsui. „Das jemand überhaupt schon redet, ist Reue.“ Matsui sagte, er habe den Film jetzt machen müssen, da die Zeugen sonst bald tot seien. Ihre seltenen Aussagen für die Nachwelt zu erhalten, ist sein großes Verdienst. Er sei am Anfang selbst von ihren Aussagen geschockt gewesen. Doch mit der Zeit sei er abgestumpft.

In Japan, wo es sonst nicht an Geld mangelt, bekam Matsui keinerlei Unterstützung für die Produktion des Films, der dort bisher erst fünfmal im kleinen Kreis gezeigt wurde. „Es ist nicht möglich, bei uns so einen Film im Fernsehen oder im Kino zu zeigen“, sagt der Regisseur, der sich für die Produktion bei Freunden verschuldete. Für Amerika und Europa habe er einen Vertrieb gefunden, in Japan nicht. „Dass der Film hier beim Festival angenommen wurde, ist ein Wendepunkt“, sagt Ortrud Rubelt, die den Film in Deutschland vertreibt. „Wir glauben, dass der Film dann in Japan nicht mehr ignoriert werden kann.“

SVEN HANSEN

„Riben Guizi. Japanische Soldaten des Teufels“. Regie: Minoru Matsui. Japan, 160 Minuten

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