DIE GEWERKSCHAFTEN HABEN IHRE KAMPAGNENFÄHIGKEIT VERLOREN: Zwei Minister im Scheingefecht
Die Idee war bestechend: Die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes wurde extra so weit hinausgezögert, dass es nicht in die Verhandlungsmasse für die Rentenreform geriet. Der Trick hat aber nicht bewirkt, dass tatsächlich die veränderte Situation in den Betrieben diskutiert würde. Auch wenn diese Reform für Millionen von Beschäftigten bedeutsam ist: Der Öffentlichkeit erscheint es spannender, den Schaukampf von zwei Ministern zu verfolgen, denen es jeweils nur um ein Erfolgserlebnis geht, oder die Identitätsfindungsprozesse der Grünen in der Wirtschaftspolitik zu bewerten.
Dass das Thema derart verfehlt werden konnte, hängt nicht zuletzt mit der mangelnden Kampagnenfähigkeit der Gewerkschaften unter Rot-Grün zusammen. Bislang haben sie sich bei allen Reformprojekten brav hintangestellt und sich darauf verlassen, dass sie beim Betriebsverfassungsgesetz endlich an der Reihe sind. Sie haben den Referentenentwurf ruhig abgewartet, statt ihre eigenen Forderungen offensiv und öffentlich zu vertreten. Sie haben das Argument der Standortlogik akzeptiert, um zu demonstrieren, dass sie die Sprache der Arbeitgeber sprechen, statt die gegensätzlichen Interessen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern zu formulieren. Und sie haben den Riester-Entwurf verteidigt, obwohl der größtenteils nur eine Anpassung an aktuelle Verhältnisse darstellt und lediglich in zwei Punkten die Arbeitnehmerrechte verbessert: beim vereinfachten Wahlverfahren in Kleinbetrieben und bei der verbesserten Freistellung von Betriebsräten.
Genau diese Punkte sind jetzt umstritten. Und wieder hoffen die Gewerkschaften passiv auf Riester. Wenn der sich nicht gegen die Begehrlichkeiten von Müller und der Wirtschaft verteidigen kann, dann bleibt ihnen nur noch, wozu sie längst außer Übung sind: Sie müssten den Aufruhr in den Betrieben inszenieren. Doch nachdem sie sich die Standortargumentation der Wirtschaft so sehr zu Eigen gemacht haben, könnte das wenig überzeugend wirken. BEATE WILLMS
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