: Düsseldorf zeigt der EU ihre Grenzen
Im Streit um die Machtverteilung zwischen Brüssel, Bund und Ländern macht NRW-Ministerpräsident Clement einen ersten Vorschlag: Die EU soll nur noch Leitlinien vorgeben. Besonders beim Binnenmarkt wollen die Länder mehr selbst regeln
aus Berlin SABINE HERRE
Die Worte haben einen schönen Klang: Transparenz, Bürgernähe, ein Europa der Regionen. Wer möchte da nicht mitreden, wer möchte nicht dabei sein bei der Debatte über die Kompetenzverteilung zwischen der bösen Zentrale Brüssel und den Mitgliedsstaaten, die angeblich immer mehr Macht an diese Zentrale abgeben müssen. Bisher tat sich vor allem Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber als Verfechter der Länderinteressen hervor. Gestern Abend hat nun ein Nordrhein-Westfale „Steine ins Wasser“ geworfen, um Brüssel in Unruhe zu versetzen.
Mit seiner Rede vor der Berliner Humboldt-Universität setzte Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) die Tradition der Europareden des dortigen Hallstein-Instituts fort, und grenzte sich doch zugleich von dem Politiker ab, der hier bisher die wichtigste Rede gehalten hatte: Joschka Fischer. Andere Politiker wie etwa der britische oder der belgische Premier hätten, so Clement, die Kompetenzfrage „stärker betont als der Außenminister des deutschen Bundesstaates“.
Was also will Clement? Die Antwort darauf scheint zunächst einfach: Eine Gesetzgebungskompetenz der EU auf drei Ebenen, geteilt nach „ausschließlicher“, „grundsätzlicher“ und „ergänzender“ Zuständigkeit. Konkret bedeutet dies: Im Wirtschaftbereich etwa ist Brüssel für Währungs- und Außenwirtschaftspolitik ausschließlich zuständig. Nicht jedoch für den Binnenmarkt. Hier gilt Kompetenzbereich zwei. Brüssel gibt Leitlinien vor, den Rest machen die Mitgliedsstaaten. Ähnliches gilt auch für den Umweltschutz, und hier zitieren die Düsseldorfer immer wieder gern die FFH, die Richtlinie Flora – Fauna – Habitat. Über 400 Behördensitzungen habe es NRW gekostet, um diese umzusetzen. Denn Brüssel habe eben nicht nur die Kriterien für den Schutz eines Gebietes vorgegeben, sondern auch bei der Auswahl mitgewirkt. Dies solle künftig Länderaufgabe sein.
Die Ergänzungskompetenz schließlich betrifft die Bildung. Hier betonen die Länder stets auch gegenüber dem Bund ihre alleinige Zuständigkeit. Gestern gestand Clement der EU jedoch gewisse Kompetenzen zu: Im Zuge zunehmender Mobilität müsse Brüssel sicherstellen, dass Abschlussdiplome eines Landes von allen EU-Mitgliedern anerkannt werden.
Ziel von NRW ist es, gemeinsam mit Niedersachsen, Bayern und Sachsen bis Herbst zu gemeinsamen Forderungen für die Kompetenzverteilung zu kommen. Diese soll Bundeskanzler Schröder dann mit zum EU-Gipfel in Belgien nehmen, wo mit einer „Laekener Erklärung“ der Inhalt der Post-Nizza-Debatte festgeschrieben werden soll.
Bis dahin ist freilich noch ein weiter Weg. Denn bisher sind sich nicht einmal die Bundesländer einig. So will München einen „Kompetenzkatalog“ zusammenstellen, in dem dann zum Beispiel das Jagdrecht ausschließlich den Ländern zusteht. Unklar ist aber auch noch die Abstimmung mit den anderen Mitgliedsstaaten. Sicher, auch in Belgien und Italien gibt es starke Tendenzen zu einer Regionalisierung. Ratlos ist man jedoch, wie man Frankreich in die Debatte einbinden kann. Und schließlich ist dann da auch noch die Kompliziertheit des Themas selbst: Die beklagte Regulierung durch Brüssel ergibt sich aus der Notwendigkeit, für den Binnemarkt Regeln zu schaffen. Hier nur den Paragrafen 75 zur Binnenmarktregelung abzuschaffen, wie Clement gestern forderte, reicht nicht. Nachtsitzungen werden nötig sein, um die künftigen Zuständigkeiten Brüssel festzulegen.
Viel klarer ist da eine weitere Forderung, die Clement an der Humboldt-Uni erhob: Die Mitgliedsstaaten seien zwar weiterhin bereit, ihren „Solidarbeitrag“ für die Unterstützung der ärmeren Länder zu leisten, ansonsten wollen sie aber selbst entscheiden, welche Gebiete sie unterstützen. Dies gelte auch für die Agrarpolitik, wo Brüssel in Zukunft nur noch grobe Förderrichtlinien vorgeben dürfe. Mit dieser Revolution der Strukturfondspolitik dürfte NRW in Brüssel auf hartnäckigen Widerstand stoßen. Zwar hat auch Regionalkommissar Michel Barnier jüngst eine Dezentralisierung angeregt. Doch bezieht er sich hier nicht so sehr auf die Länder, sondern auf Regionen und Kommunen. Und auch das Europaparlament wird auf eine inhaltliche Zielvorgabe der Förderung nicht verzichten.
Hier liegt dann auch der Kern der Kompetenzdebatte: Wer ein Europa will, das nicht nur ein Binnenmarkt ist, sondern ein gesellschaftliche Projekt, der muss diesem Europa auch die Möglichkeit, die Kompetenz geben, dieses Projekt zu gestalten.
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