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Mit dem blutigen Dolch zum Frühappell

In Algerien wird der schmutzige Krieg der Armee gegen die Islamisten in den 90er-Jahren Thema – in Büchern, die in Frankreich erscheinen. Der exilierte Exsoldat und Buchautor Habib Souaidia fürchtet jetzt um das Leben seiner Familie

MADRID taz ■ Wer Algeriens Machthabern unbequeme Fragen stellt, lebt gefährlich. Seit Tagen setzt Algeriens Militärgeheimdienst DRS die Familie von Habib Souaidia, einem in Frankreich exilierten ehemaligernUnteroffizier einer Fallschirmspringerspezialeinheit, unter Druck. Souaidia hat vor wenigen Tagen im Pariser Verlag La Découverte ein Buch mit dem Titel „La sale guerre“ (Der schmutzige Krieg) veröffentlicht, das die Verstrickung der algerischen Armee in Massaker belegen soll.

Souaidia berichtet darin über seine Zeit im Kampf gegen den islamistischen Untergrund 1992 bis 1995. „Ich habe gesehen, wie meine Kollegen ein 15-jähriges Kind bei lebendigem Leib verbrannten. Ich sah, wie als Terroristen verkleidete Soldaten Massaker verübten, wie Offiziere einfache Verdächtige kaltblütig umbrachten und oder zu Tode folterten“, gesteht der Unteroffizier.

Um die Islamisten zu diskreditieren, seien Spezialeinheiten gezielt gegen die Zivilbevölkerung in islamistischen Hochburgen vorgegangen. So beschreibt Souaidia eine Nacht, in der er eine Gruppe von Unteroffizieren einsammelte, nachdem diese in Zivil aus einem Dorf kamen. Nach der Rückkehr in die Kaserne zeigte ihm einer der Beteiligten seinen blutverschmierten Dolch und fuhr sich damit über den Hals. Souaidia verstand die Geste, als am nächsten Morgen die Zeitungen von einem grausamen Überfall auf Dorfbewohner berichteten. „Ich hatte an einem Massaker teilgenommen. Das war das erste Mal, dass ich zum Komplizen an einem Verbrechen wurde“, schreibt der Sohn einer einfachen Familie, der der Armee beigetreten war „um meinem Vaterland zu dienen“.

In der Nähe von Lakhdaria wurde Souaidia Zeuge einer Massenentführung von Sympathisanten des islamistischen Untergrundes. Die Soldaten verkleideten sich als „Bärtige“. Die Opfer wurden grausam gefoltert und dann getötet, die Leichen verbrannt.

Seit „La sale guerre“ am 8. Februar erschien, hat die im algerischen Tebassa lebende Familie des Autors keine Ruhe mehr. Bei der Mutter wurde mehrmals ein Mann vorstellig, der sich als Journalist vorstellte. Nachdem sich die Mutter und die Geschwister Souaidias wiederholt weigerten, „ein Interview“ zu geben, in dem sie sich von Buch und Autor distanzieren sollten, kam der angebliche Journalist wieder. Dieses Mal mit bewaffneten Zivilisten. Der Videoladen von Souaidias Bruder wurde in der Nacht darauf ausgeraubt und die Einrichtung verwüstet.

„Meine Familie ist total eingeschüchtert“, schreibt Souaidia in einem offenen Brief, mit dem er die Kampagne des algerischen Geheimdienstes öffentlich macht. Souaidia bringt mittlerweile auch einen Bombenanschlag wenige Meter von seinem Elternhaus am 29. Januar mit seiner Arbeit als Buchautor in Zusammenhang und will herausgefunden haben, dass der angebliche Journalist, der sich „Mouloud Benmohammed“ nennt, ein Agent des DRS ist.

Nach Recherchen der französischen Tageszeitung La Croix besuchte Benmohammed bereits Ende letzten Jahres den Ort Bentalha vor den Toren Algiers, wo in der Nacht zum 23. September 1997 bei einem der blutigsten Massaker des algerischen Kriegesüber 400 Menschen getötet wurden. Benmohammed versuchte die Anwohner einzuschüchtern. Auch damals war ein bei La Découverte erschienenes Buch der Grund. Unter dem Titel „Wer tötete wen in Bentalha“ erzählt darin einer der wenigen Überlebenden die Schreckensnacht. Auch er beschuldigt die Armee der Mittäterschaft.

REINER WANDLER

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