: „Ich würde diese Serie gucken“
Es ist ein Unterschied, ob man einen Film über Ausbeutung oder einen ausbeuterischen Film macht: Der New Yorker Regisseur Daniel Minahan über seine Reality-TV-Satire „Series 7“, digitales Drehen, Dogma und Mutterkomplexe
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
taz: „Series 7“ ist komplett digital gedreht worden. Hatte das eher ökonomische, praktische oder ästhetische Gründe?
Daniel Minahan: Ursprünglich war geplant, nur die im Film gezeigte TV-Serie „The Contenders“ digital zu drehen und dann das, was hinter den Kulissen passiert, ganz normal auf 35 mm. Aber als die Idee aufkam, ausschließlich digital zu drehen, war es perfekt. Zum einen okönomisch, weil wir so viele Effekte und Grafiken einbauten. Aber auch konzeptionell: Es war die ideale Verbindung zwischen Medium und Geschichte.
Wie hoch war die Gefahr, zu viel Material zu drehen und dann im Schneideraum Zeit zu verplempern?
Da wir quasi eine Dokumentation und eine TV-Serie gleichzeitig drehten, mussten wir sowieso dreimal so viel Material wie üblich filmen. Zuerst drehten wir die Szene, dann die Interviews, in denen die Szene nacherzählt wird, und dann noch die Zwischenschnitte auf die Beteiligten, die die Szene illustrieren. Die Produzenten haben zwar ständig angerufen und gesagt: hey, das ist Video, du kannst so viel drehen, wie du willst. Aber als erfahrener Dokumentarfilmer wusste ich, dass ich anschließend im Schneideraum sitzen und mir jede einzelne Minute Video ansehen musste. Also arbeitete ich möglichst ökonomisch.
Was war besonders wichtig für den realistischen TV-Look? Die Fake-Werbung, die TV-Trailer?
Man kann nichts herauspicken, alles spielt zusammen. Die Schauspieler haben sehr hart daran gearbeitet, wie normale Menschen vor der Kamera agieren würden. Und natürlich sind die Ankündigungstrailer wichtig, die zusätzlich noch Suspense erzeugen.
Fühlen Sie sich den Dogma-Filmern verbunden?
Das Dogma-Konzept ist amüsant. Aber es gibt diesen Spruch: Ich möchte nicht zu einem Club gehören, der mich als Mitglied aufnehmen würde. Ich will nicht nach fremden Regeln spielen.
Haben Ihnen Dogma-Filme gefallen?
„Das Fest“ habe ich geliebt, der war fantastisch. Aber ich glaube, mein Film ist ganz anders. Ich habe weniger über Film nachgedacht als über Fernsehen. Bei Dogma geht es um Authentizität, bei mir um Künstlichkeit, um Erfindung. Und mein Film ist komplett erfunden und künstlich.
Gibt es in fünf Jahren eine Sendung wie „The Contenders“?
Ich glaube nicht. Aber ich wäre auch nicht überrascht, sollte es so sein. Und ja, ich würde diese Serie definitiv gucken.
Hätten Sie vor fünf Jahren gedacht, dass es heute „Big Brother“ gibt?
(lacht) Ich habe es vorhergesehen, schließlich habe ich den ersten Drehbuchentwurf für „Series 7“ vor fünf Jahren geschrieben. Damals dachte ich: Was für eine durchgeknallte Science-Fiction-Idee.
Der Film wurde unabhängig finanziert. Haben Sie versucht, TV-Gelder zu bekommen?
Nein. Aber als mal nichts voranging, habe ich gedroht, es als Fake-TV-Serie zu machen. Ich habe mit einem Sender verhandelt, und die sagten: Wir lieben die Idee, aber können wir es weniger gewalttätig und dafür mit mehr Sex machen? Nun ist es aber recht wichtig für das Konzept der Serie, dass Menschen umgebracht werden.
Jetzt versuchen Sie aber gerade, den Film mit zusätzlichen Folgen tatsächlich als Serie ans Fernsehen zu verkaufen?
Ja, wenn ich zurück nach New York komme, will ich „Series 8“ verschiedenen TV-Verantwortlichen schmackhaft machen. Mal sehen, was passiert.
Glauben Sie, dass dann derselbe Effekt wie bei „War of the Worlds“ einsetzen wird?
Das hoffe ich doch, dass die Leute glauben, dass es echt ist, bevor sie mitkriegen, dass es Satire ist. Mein Ziel war zwar, einen unterhaltenden Film zu machen, aber ich will auch den Blick auf das TV verändern. Dass der Zuschauer hinterfragt, was ihm als Realität präsentiert wird.
Denken Sie nicht, dass das Medium Fernsehen alles vereinahmen und zu reiner Unterhaltung degradieren kann?
Wir werden sehen. Das ist die Herausforderung für diesen Film. Ich wollte einen Film über Brutalität und Ausbeutung im Fernsehen machen. Dazu musste ich dieselbe Sprache sprechen. Nun ist die Frage: Habe ich einen Film über Ausbeutung oder einen ausbeuterischen Film gemacht? Das ist ein sehr schmaler Grat.
Aber generell glauben Sie noch an die Subversion?
Sicherlich. Ich habe zwei Jahre damit verbracht, diesen Film zu machen, und habe gehofft, er wäre subversiv. Es gibt keine große satirische Tradition im amerikanischen Film. Eher schon im Fernsehen, und deshalb glaube ich, dass es funktionieren kann.
Haben Sie nur Schauspieler verwendet oder auch ahnungslose Passanten einbezogen?
Es gibt ein paar Amateure, die mitspielen, wie meine Mutter und mein Cousin. Ansonsten sind es Statisten. Nur in wenigen Szenen haben wir einfach jemanden aufgenommen, der zufällig vorbeiging. Aber man darf sie aus rechtlichen Gründen nicht erkennen, weil es eben keine Dokumentation war.
Wie fanden die Verwandten den fertigen Film?
Die meisten haben ihn gemocht. Nur meine Mutter meinte, hätte nicht ihr Sohn den Film gemacht, hätte sie ihn nicht angesehen. Fortan hieß „Series 7“ bei uns nur noch „Der Film, den nur eine Mutter lieben kann“. Ich hatte mal einen Professor, der sagte: Es gibt nur zwei Sorten Filmemacher: Die einen wollen ihren Eltern gefallen, die anderen wollen ihre Eltern schockieren.
Von welcher Sorte sind Sie?
(lachend) Ich will meine Eltern umbringen!
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