: Verhärtete Herzen
Sklaverei als Privatsache: Rachid Boucharebs Wettbewerbsbeitrag „Little Senegal“
von HARALD FRICKE
Dunkle Wände, ein Schlitz, das Meer. Das Bild könnte auch ohne Film bestehen, als Foto mit einer Geschichte: Durch die Gasse mit Blick auf den Atlantik wurden afrikanische Sklaven getrieben, zur Verschiffung nach Amerika. Heute dient der Ort als Gedenkstätte. In „Little Senegal“, dem Wettbewerbsfilm des französischen Regisseurs Rachid Bouchareb, ist er für Alloune (Sotigui Kouyate) der Ausgangspunkt auf seiner Suche nach Vorfahren.
Alloune hat über 30 Jahre im Museum für die Geschichte der Sklaven auf der Insel Gorée vor Dakar gearbeitet. All die Jahre hat er Touristen an diese Stelle geführt, von der es keinen Weg zurück gab. Jetzt ist Alloune pensioniert und steigt selbst auf ein Boot, dann ins Flugzeug und reist nach Amerika.
Erst dort öffnet sich der enge Rahmen, innerhalb dessen Bouchareb das Homeland gefilmt hat. Die Felder von South Carolina werden plötzlich unfassbar weit, die Plantagenvillen breiten sich wie französische Schlösser aus. Von Ausbeutung und weißer Herrschaft erzählt „Little Senegal“ trotzdem nicht. Aber von den Folgen: Als Alloune seinen Stammbaum aufarbeitet, gelangt er ins New York von heute. Hier versanden die Tribe-Beziehungen, die Biografien brechen im täglichen Überlebenskampf, zwischen Gelegenheitsjobs und ungewollten Schwangerschaften auseinander.
Alloune stört die Entfremdung in der Großstadt nur am Rande. Er versucht einfach, aus den historisch verschütteten Beziehungen neue Familien aufzubauen, auch gegen den Willen seines Neffen Hassan (Karim Koussein Traore), der als Wirtschaftsmigrant in Harlem lebt und das Verhalten seines Onkles peinlich findet. Vor allem mag er nicht, dass sich Alloune als Witwer in die Kiosklady Ida (Sharon Hope) verliebt, die der Alte als letztes Bindeglied der Familie ausfindig gemacht hat.
Doch solche Liebe ziemt sich scheinbar nicht für afrikanische Verhältnisse. Hassan selbst benimmt sich dagegen in New Yorks senegalesischer Community wie ein Pascha, der seine mit eingereiste Freundin zum Taschenverkaufen auf die Straße schickt. Da hockt sie nun, nicht anders als die Bevölkerung daheim in Afrika.
Immer wieder schiebt Bouchareb die postkolonialistischen Konflikte ineinander, zeigt, dass Stammesverwandschaften nicht mehr greifen, wenn jeder sehen muss, wo das Geld herkommt. Es ist schwer zu sagen, ob Boucharebs gefühlvolle Annäherung an das Dilemma versprengter Identitäten dem Problem gerecht wird. Zu sehr lässt er sich von der feingliedrigen Gestik Kouyates hinreißen, der sonst in Paris bei Peter Brook Theater spielt. Dabei verliert man die komplexen Umstände, die in den USA schwarze Brüder und Schwestern zu Konkurrenten machen, aus dem Blick. Dass sich in der Diaspora alle fremd werden, liegt nicht bloß an verhärteten Herzen – man kann die Geschichte der Sklaverei nicht aus der Besinnung aufs Private rückgängig machen.
Dafür ist „Little Senegal“ jedoch eine Momentaufnahme gelungen, in der sich zumindest eine Möglichkeit eröffnet, durch genau dieses Wissen um die Geschichte etwas über die Situation im Hier und Jetzt zu lernen. Schließlich ist das zeitgenössische Afrika nach dem Ende des Kolonialismus ein extrem junger Kontinent. Ein Teil seiner Wurzeln liegt in Amerika. Dass aber hat außer Bouchareb bislang noch niemand so klar gesehen, nicht mal Spike Lee.
„Little Senegal“. Regie: Rachid Bouchareb, Frankreich, 97 Min.
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